Gedanken zum Viktoria-Karree (Bochum) – über das der Rat heute entscheidet #ratBO
Nachdem schon in diversen anderen Gremien das ganze thematisiert wurde (siehe beispielsweise das Foto aus der Bezirksvertretung Mitte), ist es am heutigen 25. April 2018 ein Thema im Rat der Stadt Bochum: das Viktoria-Karree in Bochum.
(Zur Ratsberichterstattung achte man am besten auf den Hashtag #ratBO).
In der Ratssitzung geht es im Tagesordnungspunkt 1.16: Entwicklung entlang der Viktoriastraße – Sachstand zur Gesamtentwicklung und Konkretisierung des Entwurfs zum Viktoria Karree entscheiden.
Zu den architektonischen Plänen gibt es hier einen Gastbeitrag von Benjamin Hahn dazu, der Illustrationen/Fotos – unter anderem aus der entsprechenden Vorlage – aufweist:
Wenn Sie in Salzburg sind, dann fahren Sie doch mal über die B 150 in Richtung Anif. Rechter Hand werden Sie modernes Gebäude sehen können, das einen Blickfang in der sonst so nüchternen Salzburger Vorortlandschaft darstellt. Die Erweiterung eines Einkaufszentrums samt Parkhaus des Architekturbüros LOVE ist kein Meilenstein – aber er ist anders. Anders wie so vieles in Österreich, denn das Land ist überraschend voll von Beispielen moderner Architektur, die mit ihrer Umgebung gekonnt spielen und ganz bewusst ausbrechen.
Auch Deutschland ist anders – aber leider nicht so. Abgesehen von einigen Leuchtturmprojekten ist die zeitgenössische Architektur in unserem Land eine banalisierte Reproduktion des Bauhauses. Das liegt nicht zuletzt an der deutschen Geschichte. Das sich nach Ende des Ersten Weltkrieges entwickelnde Bauhaus, entstanden aus einer philosophisch und künstlerisch gedachten Gegenentwicklung zum verspielten Historismus und Jugendstil und zugleich Antwort auf die Kriegsschrecken, wurde schnell zu einer einflussreichen Bewegung.
Dem setzte der Nationalsozialismus ein Ende, dessen Heimatschutzarchitektur und modernistischer Neoklassizismus genau die Ästhetik pervertierte, gegen den sich das Bauhaus so entschieden in Szene gesetzt hatte. Als nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges die Architektur um eine andere, der Zeit angemessene Formensprache rang, erinnerte sie sich wieder an das unter den Nazis verpönte Bauhaus – und schuf so eine merkwürdige Moderne zwischen der Demut des Kanzlerbungalows und den Sozialexperimenten der Hochhaussiedlungen.
In dieser Moderne war das Alte verpönt – und ist es bis heute. Weil aber die Formensprache einer in der Dreifaltigkeit Stahl, Glas und Beton gebauten Gegenwart nur über ein begrenztes Inventar an Ausdrucksformen verfügt, sehen sich die Gebäude überall immer ähnlicher. Vielleicht ist diese Gleichmacherei die Haltung unserer Zeit: ein „bloß nicht auffallen“ oder „bitte nicht anders sein als die anderen“. Vielleicht ist es sogar beruhigend, wenn alles so aussieht wie überall und man nur am Jobsiade-Brunnen erkennen kann, dass man nicht in Chemnitz, Stuttgart oder München-Pasing ist.
Mich jedenfalls entsetzt diese Uniformität, die sich weder mit ihrer unmittelbaren Umgebung, noch mit der Architekturgeschichte ihrer Region auseinandersetzt. Weil sie geist- und seelenlos, vor allem aber langweilig ist. Nun soll ausgerechnet einer der zentralen Plätze der Stadt Bochum mit so einem Bau bedacht werden, der in seiner Beliebigkeit überall in Deutschlands Innenstädten stehen könnte.
Schon die Visualisierungen versprechen kaum Höhenflüge – im Gegenteil wird hier der ganze Schrecken erst so richtig deutlich: Bei dem drei Baukörper umfassenden Komplex bekommt jeder Teil einen eigenen Stil zugewiesen. Was spannend klingt, erweist sich in den Visualisierungen als unmotiviertes Nebeneinander von Solitären – eine Beziehung zwischen ihnen, ein Ineinandergreifen der Stile sucht man ebenso vergebens wie eine Korrespondenz zur umliegenden Bebauung.
Was entstehen soll, sieht nur so aus, weil heutzutage eben alles so aussieht, ja geradezu aussehen muss. Selbst einfache Beziehungen zur Umgebung, wie etwa ein sich widerspiegeln der Formensprache des Nachbargebäudes (Deutsche Bank) findet sich nicht – dabei arbeiten beide Fassaden (Neu- und Bestandsbau) mit Glas. Immerhin ist der schwarze Glasturm des Neubaus noch einigermaßen attraktiv. In ihm schwingt ein Funken Österreich mit, ein bisschen Wagemut. Wobei natürlich auch seine Ästhetik längstens zum Standardrepertoire des „ausgefallenen“ Innenstadtgebäudes gehört.
Alle anderen Baukörper jedoch sind in ihrer Ästhetik fast schon eine Beleidigung. Besonders grotesk ist das Hotel, das wie ein durchlöcherter Bunker auf einem amputierten Gebäudestumpf zu thronen scheint und dem Westring ein Antlitz verleiht, das die Straße nun wirklich nicht verdient hat.
Schließlich ist es vor allem diese Stelle, die revitalisiert werden muss und die einen neuen, verbindenden Zugang zur Innenstadt vom Westend her kommend bilden muss. Das ist eine städtebauliche Herausforderung, der sich städtische Planung und architektonischer Entwurf verweigern. Aus Desinteresse? Aus Unvermögen heraus? Man will die Antwort nicht hören, sie kann nur deprimieren.
Immerhin – und diese Aussicht beruhigt – hat moderne Architektur inzwischen eine wahnsinnig kurze Halbwertzeit.
Egal ob Frankfurt am Main, wo man das 1974 eröffnete Technische Rathaus 2004 kurzerhand wieder abriss, um die Altstadt als Mischung aus moderner Architektur und Vollrekonstruktionen wiederauferstehen zu lassen, oder Bochum, wo man sich nun des 1980 eröffneten BVZs entledigt: in vielen Städten werden die Fehler der Vergangenheit revidiert. Länger als 40 Jahre muss das neue Innenstadtjuwel nicht halten – und dank dieser Aussicht lassen sich gut Kosten bei der Bauausführung einsparen.