Knappschaft & Stadt Bochum stellen Gesundheitskarte für Flüchtlinge vor: Vorteile für Flüchtlinge, die Stadt und die Steuerzahler
Die Kurzfassung (tl;dr):
Durch die Zusammenarbeit der Stadt Bochum mit der Knappschaft und der Gesundheitskarte für Flüchtlinge gibt es für die Stadt, die Flüchtlinge und die Steuerzahler Vorteile gegenüber den bisherigen Regelungen. Kritische Stimmen ignorieren Gesetzeslage und erkennen Vorteile nicht.
Schon Ende Oktober wurde bekannt, dass die Stadt Bochum die Gesundheitskarte für Flüchtlinge planmäßig zum 1. Januar 2016 einführen wird (das Pottblog berichtete).
In einem gemeinsamen Pressegespräch stellten letzte Woche Bettina am Orde (Geschäftsführerin der Knappschaft und Erste Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See) sowie Thomas Eiskirch (Oberbürgermeister der Stadt Bochum) und Britta Anger (Sozialdezernentin der Stadt Bochum) die Vereinbarung vor:
Bisherige Situation:
Bisher mussten Flüchtlinge, die eine medizinische Versorgung benötigten, zuerst beim zuständigen Amt der Stadtverwaltung vorsprechen. Die dortige Sachbearbeitung (das sind keine Mediziner!) musste dann prüfen, ob eine medizinische Versorgung wirklich notwendig ist und erteilte dann eine Genehmigung. Mit dieser Genehmigung kann man dann zum Arzt gehen und der Arzt rechnet die Behandlung privatärztlich mit der Stadt Bochum ab, die die Kosten zuständigkeitshalber zu tragen hat.
Neue Situation (ab 1. Januar 2016) mit der Gesundheitskarte für Flüchtlinge:
Flüchtlinge die der Stadt Bochum zugewiesen worden sind (es betrifft also nicht die Flüchtlinge in Landeseinrichtungen!) erhalten nach Erfassung ihrer Daten erst einmal einen Behandlungsschein der Knappschaft um dann kurze Zeit später eine Gesundheitskarte zu bekommen.
Das ist dabei das übliche Procedere, denn wenn man beispielsweise als gesetzlich Krankenversicherter zur Knappschaft wechselt, bekommt man auch vorab einen Behandlungsschein und erst kurze Zeit später die Gesundheitskarte. Hintergrund hierfür ist, dass die Gesundheitskarte erstmal durch den entsprechenden Dienstleister erstellt werden muss – während so ein Behandlungsschein schnell gedruckt ist.
Mit dieser Legitimation geht man dann im Krankheitsfall direkt und ohne Umweg über’s Amt zum Arzt und kann dort diskriminierungsfrei behandelt werden. Von außen erkennt man am Behandlungsschein bzw. vor allem der Gesundheitskarte nicht, dass es sich dabei um einen Flüchtling handelt. Auf den Daten des Chips ist jedoch der besondere Status gespeichert, denn im Gegensatz zur gesetzlichen Krankenversicherung nach den Regularien des Sozialgesetzbuches bekommen Flüchtlinge nicht alle Leistungen (da hier das Asylbewerberleistungsgesetz die gesetzliche Grundlage ist und hier Leistungen des GKV-Leistungskataloges ausgeschlossen sind).
Die Behandlungskosten rechnet der Arzt mit der Knappschaft als zuständiger Krankenkasse ab – und zwar nach den üblichen Modalitäten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die angefallenen Kosten ersetzt zu 100 % die Stadt Bochum der Knappschaft und zahlt auch noch einen Aufschlag für die Verwaltungskosten der Knappschaft.
Vorteile der neuen Gesundheitskarte für Flüchtlinge:
Die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge in Bochum ist gut
- für die Flüchtlinge: Man kann ohne Umwege direkt zum Arzt, wenn es sein muss. Mit der in Deutschland einheitlichen Gesundheitskarte ist ein diskriminierungsfreier Zugang zu den medizinischen Leistungserbringern möglich.
- für die Mitarbeiter der Stadt: Einerseits mussten bisher Mitarbeiter der Stadt, die dafür gar nicht ausgebildet waren, entscheiden, ob eine medizinische Notwendigkeit für einen Arztbesuch besteht. Andererseits mussten dann im Anschluss die Kosten die dadurch angefallen sind, gegenüber teilweise mehreren Leistungserbringern geleistet werden.
- für die Stadt Bochum: Für die Mitarbeiter wird es einfacher (siehe oben), was natürlich auch für die Stadt Bochum von Vorteil ist. Außerdem werden die Gesundheitskosten der Flüchtlinge, die die Stadt Bochum erbringen muss, dadurch potenziell geringer. Dies liegt daran, dass die Ärzte nicht mehr privatärztlich mit der Stadt abrechnen, sondern nach den üblichen Regularien der gesetzlichen Krankenkassen. Diverse Kostendämpfungsgesetze, Rabattverträge (z.B. mit Medikamentenherstellern) usw. wirken sich dabei kostensenkend aus. Außerdem kommt noch die Erfahrung bei der entsprechenden Abrechnung hinzu, denn das ist das tägliche Geschäft einer Krankenkasse wie der Knappschaft.
- für die Steuerzahler und die Bevölkerung: Hier gilt das gleiche wie für die Stadt Bochum. Da die Gesundheitskosten zu übernehmen sind, sollte die neue Gesundheitskarte für Flüchtlinge alleine schon aufgrund der anderen Abrechnung Geld sparen. Insgesamt betrachtet bringt das ganze auch Vorteile wenn Flüchtlinge medizinische Leistungen direkt in Anspruch nehmen können und nicht erst beim Amt vorstellig werden müssen – man stelle sich mal vor, wenn man am Wochenende etwas ansteckendes hat und erst bis zur nächsten Woche warten muss, damit man dann erst eine Erlaubnis erhält zum Arzt zu gehen…
- für die Knappschaft: Hier ist es wichtig, dass die Versichertengemeinschaft der Knappschaft von dem Verfahren nicht belastet wird. Wie Krankenversicherungsexpertin Bettina am Orde im Pressegespräch erläuterte, werden die getrennt abgerechneten Kosten 1:1 von der Stadt Bochum übernommen und für die bei der Knappschaft anfallenden Verwaltungskosten kommt die Stadt Bochum auch auf.
Bochums Sozialdezernentin Britta Anger betonte im Pressegespräch, dass vor allem auch der diskriminierungsfreie Zugang zu medizinischen Leistungserbringern ein wichtiger Aspekt sei, während sich Oberbürgermeister Thomas Eiskirch erfreut darüber zeigte, dass die Einführung in Bochum zum 1. Januar 2016 klappt – aufgrund vieler Gespräche im Vorfeld. Eiskirch hält die Einführung der Gesundheitskarte für „ein richtiges Signal“ in vielen Dimensionen und nannte dabei die Stichworte Würde, Selbstbestimmung aber auch Kostenersparnisse und Entlastung bei der Stadt Bochum.
„Mit der Einführung der Gesundheitskarte wird den Flüchtlingen die umfassende gesundheitliche Versorgung ermöglicht. Ihnen stehen nun Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung.“
Thomas Eiskirch, Oberbürgermeister der Stadt Bochum
Natürlich sei es zu erst eine Aufgabe des Bundes die Gesundheitskosten zu zahlen, solange sich da aber nichts tut, sei man froh, dass man als Stadt Bochum die von den Krankenkassen und dem Landesgesundheitsministerium geschlossene Rahmenvereinbarung nutzen kann. Ansonsten hätte jede Stadt, jede Gemeinde alleine mit den Krankenkassen verhandeln müssen.
Bettina Anger erklärte, dass der anfängliche Aufwand für die Gesundheitskarte gemäß der gesetzlichen Bestimmungen nach 15 Monaten sowieso zu erfolgen hätte und jetzt nur nach vorne verlagert wird. Nach 15 Monaten dann sei die Änderung chiptechnisch auf den Gesundheitskarten einfach durchführbar.
Bettina am Orde ergänzt:
„Die Knappschaft setzt ihre Fachkompetenz ein, damit Asylbewerber unbürokratisch Zugang zu medizinischen Leistungen bekommen. Wir sehen in der Einführung der Gesundheitskarte in Bochum einen Schritt in die richtige Richtung, dem sicherlich bald viele andere Städte folgen werden. Sorge, dass hier Gelder der Versichertengemeinschaft verwendet werden, muss niemand haben. Die entstehenden Leistungsaufwendungen sowie Verwaltungskosten werden der Knappschaft von der Stadt Bochum erstattet.“
Bettina am Orde, Geschäftsführerin der Knappschaft
Weiteres Vorgehen:
Ab Januar werden die Gesundheitskarten dann über die Mitarbeiter des Sozialamtes verteilt, die dann auch über die wichtigsten Details dazu direkt informieren. Auch wird die Knappschaft selber dann Sprechtage in den Einrichtungen mit Dolmetschern durchführen, um zu erklären, wie man die Gesundheitskarte nutzen kann.
Noch im Jahr 2016 selbst (vermutlich im Oktober) werden die aufgefallenen Kosten aufgrund der Rahmenvereinbarung evaluiert – denn ggf. muss es da zu Anpassungen nach unten oder nach oben kommen. Da man noch keine Erfahrungen mit einem solchen Verfahren in einem Flächenbundesland wie Nordrhein-Westfalen hat (in Stadtstaaten wie Bremen, Stichwort „Bremer Modell“, hat sich gezeigt, dass das neue Verfahren auch Kostenersparnis mit sich bringt), sei diese Evaluierung extra vereinbart worden.
Kommentar zu kritischen Stimmen – und oft gehörten Gegenargumenten:
Es gibt Kritik an dem Verfahren – beispielsweise werden die anfangs anfallenden Verwaltungskosten bei der Ausgabe der Gesundheitskarten genannt. Das sind aber Kosten, die nach 15 Monaten aufgrund der Gesetzeslage sowieso angefallen wären und jetzt nur nach vorne verlagert werden.
Leider muss man immer wieder unreflektiert die Meinung lesen, dass durch die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge die Kosten für die gesetzlich Krankenversicherten ansteigen. Durch die getrennte Rechnungslegung ist das ausgeschlossen. Die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen, die sich derzeit auf die Zusatzbeiträge der gesetzlichen Krankenversicherung auswirken, liegen an gesetzlichen Änderungen, durch die Leistungserbringer (wie Krankenhäuser und Ärzte) mehr Geld bekommen. Aber auch daran, dass beispielsweise für die Prävention mehr Geld von den Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden muss.
Am Rande: Die Leistungssteigerungen betreffen oftmals die Flüchtlinge nicht, denn die ihnen gewährten Leistungen werden nicht nach dem Sozialgesetzbuch sondern nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährt – und da sind die Leistungen eingeschränkter.
Insofern erhalten gesetzlich Krankenversicherte (egal ob nun Arbeitnehmer, beispielsweise Bezieher von Arbeitslosengeld II (Hartz IV), Rentner) einen besseren Leistungskatalog als die Flüchtlinge.
Auch der Vorwurf, dass man damit für die Flüchtlinge etwas schafft, was es für Deutsche nicht gibt, greift grundsätzlich nicht. In Deutschland gibt es eine Versicherungspflicht (entweder für die gesetzliche oder aber die private Krankenversicherung) und die gilt beispielsweise auch beim Bezug von Arbeitslosengeld I oder Arbeitslosengeld II. Dabei ist dann auch eine Krankenversicherung enthalten. Insofern dürfte von der Theorie her eigentlich keine Person in Deutschland durch das Raster fallen.
An die ganzen „Muss das denn sein?“ oder „Ja, aber…“-Sager…
Viele der Kritikpunkte sind haltlos und lassen sich schnell widerlegen. Man darf aber nicht vergessen: Natürlich ist die Stadt aufgrund gesetzlicher Regelungen für die Gesundheitsversorgung der ihnen anvertrauten Flüchtlinge zuständig!
Das dies eher eine Bundesaufgabe ist – das ist richtig, aber da ziert sich die Bundesregierung bzw. vor allem die CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch „Wir schaffen das!“ zu sagen.
Aber soll man deswegen so lange warten und weiter eine eher unwürdige Verfahrensweise nutzen?
Wo städtische Mitarbeiter gezwungen werden vorab medizinisch zu beurteilen, ob eine Behandlung notwendig ist?
Wo dann das ganze privatärztlich durch die Stadt abgerechnet wird?
Eine medizinische Versorgung sicherzustellen ist jedoch dennoch schlicht und ergreifend eine Pflichtaufgabe! Diese sollte im Sinne aller sein, denn es kann niemand ein Interesse daran haben, dass beispielsweise bei ansteckenden Erkrankungen Flüchtlinge nicht richtig behandelt werden!
Vielleicht muss auch die Rahmenvereinbarung noch überarbeitet werden, vielleicht zeigt sich in der Praxis der tatsächlichen Abrechnung, dass die Praxis die Theorie widerlegt – aber genau dafür gibt es ja die vertraglich vereinbarte Evaluation.
Fazit zur Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge:
Insgesamt gesehen ist es sinnvoll und richtig, dass die Stadt Bochum die Vereinbarung mit der Knappschaft abgeschlossen hat.