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Jens Matheuszik — 16. Juli 2015, 09:23 Uhr

Oberbürgermeisterkandidaten in Bochum distanzieren sich vom Ratsbeschluss i.S. Flüchtlingsheim auf/am Friedhof #OBwahlBO #ratBO


Rathaus der Stadt Bochum

Rathaus der Stadt Bochum

Ende Juni hatte der Bochumer Rat vor allem (aber nicht nur) mit den Stimmen der Mehrheitsfraktionen von SPD und Grünen über Standorte von Flüchtlingseinrichtungen in Bochum entschieden. Die Politik verfolgt dabei das Ziel einer dezentralen Belegung, aufgeteilt auf die verschiedenen Stadtbezirke Bochums. In Weitmar (im Bochumer Südwesten) sollte dabei ursprünglich eine städtische Fläche auf dem Gelände der ehemaligen Brantrop-Schule an der Brantropstraße genutzt werden, doch kurz vor Beschluss kam es noch zu einer Änderung. Jetzt sollte eine Fläche genutzt werden, die – wenn man gewisse Berichte vor einigen Tagen so las – anscheinend dazu führt, dass Wohncontainer direkt auf einem Friedhof zwischen den Gräbern positioniert werden sollen. Die Aufregung vor allem in den so genannten „sozialen“ Netzwerken war groß, teilweise wurden dabei auch noch politische Einflußnahmen als Grund genannt – als beispielsweise die Frage gestellt wurde, welche Ratsmitglieder denn am vorherigen Standort wohnen würden, da das ja wohl deswegen geändert wurde…

Mit dem Grundtenor der Berichterstattung „Bochum will Flüchtlinge auf dem Friedhof“ unterbringen, war Bochum für einige Tage mal wieder auch überregional in der Diskussion. Der Wirbel wäre sicherlich ausgeblieben, hätte man ursprünglich berichtet, dass es sich bei der geplanten Fläche um eine nie genutzte Erweiterungsfläche eines Friedhofs handelt, der bereits vor Jahren (für neue Grablegungen) geschlossen wurde und es eine deutliche bauliche Trennung zum eigentlichen Friedhofsgelände geben soll. Wie ungefähr an vielen anderen Standorten in Bochum, denn Wohnbebauung und auch Kleingewerbe in direkter Nähe zum Friedhof ist nichts neues in Bochum.

Dennoch kochte die Situation über, der Untergang des Abendlandes wurde heraufbeschworen – schließlich könnte es dann ja beispielsweise passieren, dass Flüchtlingskinder ob der Lage ihrer Unterkünfte auf Gräbern spielen würden. Das beispielsweise die Trauerhalle demnächst abgerissen werden soll und am selben Standort ein Kindergarten gebaut werden soll, störte die Argumente vieler Gegner des Standorts nicht.

Natürlich ist ein Standort „an einem“ Friedhof nicht ideal und natürlich würde man lieber gerne andere Standorte nutzen – aber es ist davon auszugehen, dass man sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht hat und dass es da gute Gründe für gab. Es ist ja nicht so, dass die Verwaltung und die Politik bewusst eine solche Entscheidung treffen, wenn es nicht notwendig wäre.

Die Oberbürgermeisterkandidaten beginnen zurückzurudern…

Normalerweise wäre es jetzt Aufgabe der Politik den getroffenen Beschluss zu erklären und auf die Argumente der Gegner einzugehen, wie es die SPD-Ratsfraktion im Beitrag Zur Debatte über die Unterbringung von Flüchtlingen in Bochum auch versucht. Doch in diesem Jahr stehen auch noch Oberbürgermeisterwahlen (am 13. September 2015) an, da führen dann Diskussionen auf Grundlage missverständlicher Artikel zu anderen Reaktionen:

Monika Engel (Grüne):

Als erstes erklärte Monika Engel, Oberbürgermeisterkandidatin der Grünen, dass sie mit dem Standort und dem Beschluss der eigenen Koalition im Rat nicht einverstanden sei:

„Nach einer Besichtigung des konkreten Geländes vor Ort sind auch mir erhebliche Zweifel an der Eignung dieses Standorts gekommen. Zwar ist der Friedhof bereits seit 5 Jahren für neue Bestattungen – mit Ausnahme von Ehegattenzusammenführungen – geschlossen.

Die Wohnanlagen für Flüchtlinge sind jedoch aktuell in unmittelbarer Nähe zu den bestehenden Grabstätten und zur Trauerhalle vorgesehen. Ich kann daher die in der Öffentlichkeit entstandene Empörung sehr gut nachvollziehen. […]

Im Ergebnis stelle ich fest, dass der ursprünglich von der Verwaltung vorgeschlagene (und auch von der grünen Stadtratsfraktion favorisierte) Standort auf dem Gelände der ehemaligen Brantrop-Schule deutlich weniger Nachteile gehabt hätte.“

Absurdität der Diskussion und Berichterstattung steigt:

Die öffentliche Diskussion ging dann immer weiter und ging teilweise ins Absurde:
Es bringt beispielsweise nichts, wenn man in der öffentlichen Diskussion fordert, dass man Flüchtlinge dezentral unterbringt und als Alternativen zum geplanten Standort am Friedhof Orte in ganz anderen Stadtbezirken vorschlägt. Denn genau die Verteilung auf die Stadtbezirke ist das Ziel und dass ein Standort im Bochumer Osten nicht als Alternative für den Südwesten dienen kann, sollte auf der Hand liegen. Ebenso absurd waren dann andere Berichte, wo anscheinend – jedenfalls nach den Aussagen ortskundiger Bochumer – die Berichterstatter auf dem falschen Friedhof (da gibt es nämlich in direkter Nähe einen weiteren) waren und ob der dort gemachten Fotos den Ratsbeschluss kritisieren…

Klaus Franz (CDU):

Während der CDU-Oberbürgermeisterkandidat Klaus Franz mit seiner Distanzierung vom geplanten Standort wenigstens nicht der eigenen Ratskoalition in den Rücken fiel (denn die CDU war im Rat gegen den Standort), lenkt er die Diskussion auf einen weiteren Standort. Klaus Franz sieht nämlich auch die geplante Unterbringung von Flüchtlingen in der ehemaligen Polizeikaserne am Gersteinring als problematisch an. Die CDU erklärt dazu:

„Die Polizeikaserne soll Ende des Jahres für 200 Flüchtlinge zur Verfügung stehen. Maximal könnten rund 500 Personen in diesem Gebäude untergebracht werden. Auch, wenn wir heute aufgrund sozialer Kriterien eine Belegung von maximal 200 Flüchtlingen festschreiben, wird uns die Realität schneller einholen als uns lieb ist, befürchtet Klaus Franz. ‚Der Flüchtlingsstrom wird weiter anhalten und wir kommen als Stadt mit neuen Unterbringungsmöglichkeiten nicht hinterher. Wir werden irgendwann unsere guten Voraussetzungen über Bord werfen und die Belegungszahlen am Gersteinring erhöhen‘, so Franz.

Außerdem birgt die Nähe zum Rewirpower-Stadion Risiken.

‚Ich wage mir gar nicht auszumalen, wie es zukünftig bei Heimspielen des VfL zugehen wird, wenn die Hooligans vom Bahnhof über die Castroper Straße Richtung Rewirpower-Stadion ziehen. Wird die Polizei dann ihre Einsatzkräfte verstärken müssen, damit die Hooligans nicht am Gersteinring vor der neuen Flüchtlingsunterkunft pöbelnd stehen bleiben? Dies entspricht nicht der Willkommenskultur, die ich mir für Bochum wünsche‘, so Klaus Franz.

Alternativvorschläge machte Klaus Franz jedoch – weder für den Südwesten noch für Mitte (Gersteinring) – nicht. FDP-Ratsmitglied Felix Haltt kommentierte die Pressemitteilung des CDU-Oberbürgermeisterkandidaten übrigens wie folgt:

„Wir können am Gersteinring keine Flüchtlinge unterbringen, weil dann angeblich die Gefahr bestünde, dass Hooligans bei VfL-Heimspielen vor dem Gebäude pöbeln? Dann sollten wir wohl eher etwas gegen die Hooligans unternehmen, oder?“

Horst Hohmeier (Linkspartei):

Für die Linkspartei war die ganze Entscheidung an sich peinlich: „Es ist eine Peinlichkeit für den gesamten Bochumer Rat, dass der Antrag so beschlossen worden ist“, so jedenfalls Horst Hohmeier, Ratsmitglied und Oberbürgermeisterkandidat der Bochumer Linken. „Natürlich ist es nicht akzeptabel, oftmals von Krieg und Gewalt traumatisierte Flüchtlinge auf einem Friedhof wohnen zu lassen. Unter der Hand sagen jetzt viele Ratsmitglieder, dass sie dem Vorschlag nicht zugestimmt hätten, wenn ihnen das bewusst gewesen wäre. Wir dürfen das Thema jetzt nicht unter den Teppich kehren. Wenn der Rat falsche Entscheidungen trifft, muss er auch bereit sein sie zu korrigieren.“

Wieviele Kritiker der Entscheidung „unter der Hand“ sagen, dass die Aufregung vielleicht gar nicht so groß wäre, wenn man wüsste, dass es eher um einen Standort „an einem“ statt „auf einem“ Friedhof geht, geht leider aus der Mitteilung nicht hervor.

Günter Gleising (Soziale Liste):

Auch Günter Gleising, Oberbürgermeisterkandidat der Sozialen Liste, kritisiert den Beschluss des Rates. Aus seiner Sicht verstößt der Ratsbeschluss sogar gegen geltendes Recht. Außerdem:

„Es ist nicht akzeptabel, Flüchtlinge, die vielfach mit Gewalt, Krieg und Tod konfrontiert wurden, ausgerechnet auf einer Friedhofsfläche mit Blick auf Grabsteine unterzubringen“, so der OB-Kandidat der Sozialen Liste.

Thomas Eiskirch (SPD):

Der Bochumer Landtagsabgeordnete und Oberbürgermeisterkandidat seiner Partei hat sich als – bis jetzt – letzter Oberbürgermeisterkandidat auch geäußert:

„Ich war vor einigen Tagen vor Ort und habe mir das Gelände angeschaut“, sagt der SPD-Oberbürgermeisterkandidat. „Ein idealer Standort für eine Container-Siedlung sieht anders aus.“ Natürlich seien Politik und Verwaltung in einer schwierigen Lage. „Es kommen täglich mehr Flüchtlinge nach Bochum, die Prognosen überholen sich jeden Tag. Deswegen müssen schnell zur Verfügung stehende Flächen gefunden werden, um die Flüchtlinge unterzubringen. Dabei ist es niemanden verboten, sich Gedanken über bessere, schnell verfügbare und infrastrukturell gut angebundene Flächen zu machen. Diese müssen dann geprüft werden“, so Eiskirch. „Wenn sich etwas Besseres findet, wird sich sicher niemand verweigern.“

Vorläufiges Fazit…

Vor einer Wahl scheint sowohl bei der Berichterstattung als auch bei der politischen Beurteilung manchmal eine Situation anders bewertet werden als wenn keine Wahl anstehen würde. Es macht schon einen eklatanten Unterschied, ob Flüchtlinge „auf einem“ Friedhof oder aber „an einem“ Friedhof untergebracht werden. Wer die Bochumer Friedhöfe kennt, der weiß, dass es keinen Schutzradius darum gibt, in dem – quasi wie bei einer Bannmeile – es keine Wohnbebauung oder ähnliches geben darf.
Dass natürlich ein Friedhof ein hochemotionaler Ort ist, das ist klar. Aber warum ein abseitiger Standort für eine Flüchtlingsunterkunft neben einem Friedhof deutlich stärker diskutiert wird, als ein Kindergarten, der anstelle der bisherigen Trauerhalle gebaut werden soll – das wundert dann doch ein wenig.

Angesichts der kommenden Oberbürgermeisterwahl haben wohl vor allem die Kandidaten von Grünen und SPD sich so geäußert wie sie es gemacht haben. Ob es jedoch sinnvoll ist, schon nach dem ersten Widerstand zurückzuweichen und eine Entscheidung zu hinterfragen anstatt die Gründe dafür rational zu erklären, sei einmal dahingestellt.

Das einzige was bei der ganzen Diskussion noch wundert: Warum haben sich bisher nur fünf Oberbürgermeisterkandidaten dazu geäußert? In Bochum haben wir ja doch ein paar mehr. Aber vielleicht erkennt man ja an dieser Diskussion auch, welcher Kandidat derzeit im Urlaub ist und wer nicht… ;)

Dass die geänderte Standortentscheidung unter Umständen ein politisches „Geschmäckle“ hat, bleibt jedoch bisher nur behauptet. Konkrete Argumente dahingehend oder gar Beweise gibt es nicht.

Bei Facebook wurde ja gemutmaßt, dass vermutlich betroffene Ratsmitglieder keinen Standort „in ihrer Straße“ haben wollten. Aber weder in der Brantropstraße, noch in den Straßen die sich an der Brantropstraße kreuzen, wohnen nach Pottblog-Informationen (basierend auf städtischen Angaben des Jahres 2014; aber Ratsmitglieder ziehen ja eigentlich nicht so häufig um…) irgendwelche Ratsmitglieder.

Insofern bleibt da eigentlich nur eine nicht belegte Behauptung, die sicherlich nicht zu einer Versachlichung der Diskussion beiträgt.


1 Kommentar »

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  1. (1) Kommentar von Klaus Lohmann @ 17. Juli 2015, 11:16 Uhr

    Ein Friedhof bleibt solange ein Friedhof, bis er entwidmet ist, Punkt. Die besagte Fläche wird zwar nicht mehr direkt für Gräber genutzt, grenzt aber unmittelbar an solche, nachvollziehbar hier: https://session.bochum.de/bi/getfile.php?id=344562&type=do (auf Folie 23) und per Google Maps.

    Bis der Friedhof oder auch nur diese Teilfläche entwidmet wird, vergehen allein aus bürokratischen Gründen noch viele Jahre, das ist also für den jetzigen Bedarf völlig belanglos. Dass man dem Rat zunächst nur eine schnöde Adresse ohne einen Hinweis aufs Friedhofsgelände vorlegte, kommt als Peinlich- und Geschmacklosigkeit noch on top.

    Und mir kann Niemand erzählen, dass es in Weitmar kein anderes, geeignetes Gelände mehr geben soll.


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