Sogenannter „Faktencheck“ der Ruhr Nachrichten Dortmund zum Pannekopp-Orden für Dortmunds Polizeipräsidenten Gregor Lange
Wer heute morgen die Ruhr Nachrichten (RN) Dortmund aufschlug oder – als Leser der eZeitungs-Ausgabe – aufklickte bzw. aufwischte, konnte im Lokalteil Dortmund den obigen Artikel sehen.
Dieser bezieht sich auf die Verleihung des Pannekopp-Ordens an Dortmunds Polizeipräsidenten Gregor Lange durch den Geierabend. Am Dienstag berichtete das Pottblog dazu: Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange ist Pannekopp des Jahres 2015.
Bei der Pressekonferenz am Dienstag, bei der das Pottblog dabei war (und von der noch mindestens ein Video veröffentlicht wird), gab es auch Fragen seitens der RN, welche sich auf die Begründung zur Wahl von Gregor Lange stützten. Hier wurden Fehler in der Begründung moniert und das gipfelte dann jetzt im Faktencheck zur Pannekopp-Verleihung, der inzwischen auch online verfügbar ist.
Nachfolgend dazu eine Art „Faktencheck zum Faktencheck“ von Bastian Pütter vom bodo e.V., der damals am 25. Mai 2014 dabei war. Im Gegensatz zu anderen, die jetzt darüber schreiben…
Der Artikel wurde auf der bodo-Seite bereits veröffentlicht und wird hier noch einmal dokumentiert und kommentiert.
Hat Polizeipräsident Lange den „Pannekopp“-Orden gar nicht verdient?

Ein Faktencheck zum Faktencheck der Ruhr Nachrichten
Die Verleihung des „Pannekopp“-Ordens an den Dortmunder Polizeipräsidenten durch den Geierabend hat scheinbar einen Nerv getroffen.
Heute solidarisieren sich die „Ruhr Nachrichten“ mit einem „Fakten-Check“ mit Dortmunds Polizeichef.
Dabei verdrehen sie die satirisch zugespitzten Formulierungen der „Wahlbegründung“ und zeichnen ein seltsames Bild der Vorgänge.

Vier vermeintliche Aussagen des Geierabend-Ensembles werden präsentiert und anschließend widerlegt.
Ein Faktencheck des Faktenchecks.
Aussage 1: Es sei die Taktik des Polizeipräsidenten gewesen, nach dem Wahlabend „gegen Bürger mit Zivilcourage vorzugehen und wegen Nötigung zu ermitteln“, fassen die Ruhr Nachrichten die Geierabend-Begründung zusammen.
Die Antwort zieht sich zurück auf den „Strafverfolgungszwang“ der Polizei. In der Tat gibt es den bei Offizialdelikten – und zur Not muss man eins erfinden. Eigentlich befand sich vor dem Rathaus eine verfassungsmäßig geschützte Versammlung, die angegriffen wurde. Der Tatvorwurf Nötigung gegen eine Versammlung benötigt einen tiefen Griff in die juristische Mottenkiste.

Die Dortmunder Polizei hat den getan. Vor dem Innenausschuss des Landtags begründete der Dortmunder Polizeivertreter die Ermittlungen mit dem „Läpple-Urteil“, mit dem der Bundesgerichtshof 1969 (!) friedliche Blockaden zur Nötigung erklärte. Das Urteil unter dem Vorsitz von Paulheinz Baldus (in erster Karriere juristischer Mitarbeiter in der Präsidialkanzlei Hitlers) war damals schon ein Skandal und wurde 1995 (!) für verfassungswidrig erklärt. Soviel zur Arbeitsgrundlage der Dortmunder Polizei.
Die Polizei weigerte sich am Abend Anzeigen der Angegriffenen aufzunehmen. Gegen alle, die es später taten, ermittelt sie wegen Nötigung.
Aussage 2: Laut Nominierung wurden gegen 22 Nazis die Verfahren bald eingestellt. „Ist das richtig?“ fragen die Ruhr Nachrichten.
Als Antwort erklären die Ruhr Nachrichten den Unterschied zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft, sprechen aber von fünf mutmaßlichen Angreifern, die belastet würden. Ja, genau.

Aus der Sicht der Anwesenden vor dem Rathaus lief eine einheitlich in Shirts des verbotenen Nationalen Widerstands gekleidete Gruppe z.T. bewaffnet auf die Menschen am Rathaus zu, es gab gemeinschaftliche Körperverletzung und Volksverhetzung – alles wunderbar in Bewegt- und Standbildern und Tonaufnahmen dokumentiert. In Polizeihandbüchern ist so etwas der Standardfall für Landfriedensbruch (§125 StGB). Nicht in Dortmund.
 Stattdessen wurden innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit alle auf Videoaufnahmen Identifizierbaren Angegriffenen angezeigt. Das war stellenweise einfach, weil es sich zum großen Teil um Rats- und Landtagsmitglieder handelte, war aber anderswo so schlampig ausgeführt, dass ein Jungpolitiker wegen Ähnlichkeit mit einem anderen Jugendlichen angezeigt wurde. Egal. Die Masse macht´s.

Aussage 3: Die Ruhr Nachrichten nehmen nicht wie angekündigt die „in der Nominierung genannten Gründe (…) unter die Lupe“, sondern zitieren aus einem Interview mit Geierabend-Veranstalter Horst Hanke-Lindemann, der sich im Interview über Aussagen des Polizeipräsidenten zu den Todesanzeigen für unsere Kollegen ärgert. Anderes Thema, aber gut:
Lange hatte im Interview mit der Welt die Todesdrohungen bedauert, aber beruhigend geäußert, in vergleichbaren Fällen sei es bei Bedrohungen geblieben. Das hatte für einen Aufschrei nicht nur bei den Betroffenen von Nazigewalt gesorgt. Die Ruhrbarone titelten „Lügt Polizeipäsident Lange oder hat er einfach keine Ahnung?“ Wir kennen hier den Zusammenhang zwischen Einschüchterung und Gewalt durch Nazis auch aus eigener Erfahrung etwas anders. An diesem Punkt dem Polizeipräsidenten beizuspringen halten wir für einigermaßen geschmacklos.

Viel spannender: In dem Interview mit Horst Hanke-Lindemann kam ein Aspekt vor, der es noch nie in die Ruhr Nachrichten geschafft hat, nämlich die manipulativen Verhöre der angeschuldigten Wahlparty-Besucher. Polizei und Staatsschutz haben in mehreren uns bekannten Fällen mit aus dem Zusammenhang gerissenen Standbildern und subtilen Einschüchterungen versucht, angezeigte Politiker und Gäste im Rathaus von einer anderen Geschichte zu überzeugen als der, die sie erlebt haben. Selbst Menschen, die deutlich sichtbar auf dem vorhandenen Bildmaterial angegriffen und geschlagen wurden, sollten von diesen Aussagen abgebracht werden.

Das wäre eine schöne Frage für einen Faktencheck gewesen, und auch hier wäre die Antwort gewesen: Ganz im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Lange seinen Laden nicht im Griff.
Aussage 4: Bei rechtsextremen Straftaten sehe die Polizei nicht hin, vermittle der Geierabend.
Als Gegenbeweis nennen die Ruhr Nachrichten die Ermittlungszahlen bei rechten Straftaten in 2013. Keine Ahnung, was das sagen soll. Lange war damals nicht Polizeipräsident – und was sagen 245 Ermittlungsverfahren aus. Im letzten Jahr kommen wir allein bei Demonstrationen von Nazis in Dortmund auf eine ähnliche Zahl von mutmaßlichen Straftaten. Nebenbei: Die Dunkelziffer ist riesig. Selbst Angriffe werden nicht durchgehend angezeigt. Wenn für jedes „Grüß Schmuddel, wenn Du ihn triffst. Bald.“ (den vom Dortmunder Nazi Sven Kahlin erstochenen Punk) oder für jedes „Linkes Gezeter: 9mm“ die Polizei gerufen würde… Dass das nicht passiert hat übrigens Gründe, für die die Vorfälle am Rathaus ein Beispiel sind, das ausnahmsweise einmal vor allen Augen die Mitte der Gesellschaft betrifft.
Wir wissen nicht, was der „Faktencheck“ erreichen sollte, bei uns funktioniert er jedenfalls anders.
Um es nochmal klarzustellen: Es ging dem Geierabend ganz offensichtlich nicht um die Diskreditierung von Polizeiarbeit oder gar um die von PolizistInnen.

So wie wir es verstehen, verweist der Pannekopp-Orden auf ein Führungsproblem in der Polizei, das im Grunde seit Langes Amtsantritt an vielen Stellen diskutiert wird. Besonders schmerzhaft ist es deswegen, weil Langes Vorgänger nach den – keine Übertreibung – dunklen Jahren unter Polizeipräsident Schulze den Laden gerade im Griff hatte. Norbert Wesseler hat in Dortmund einen richtig guten Job gemacht. Die Dortmunder Nazis schafften es in seiner Amtszeit nur einmal in die überregionale Presse – als ihre Kameradschaft verboten wurde. 
Inzwischen tanzen sie der Stadt auf der Nase herum. Vorfälle wie der am Rathaus haben es geschafft, zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen Nazis auf lange Zeit zu diskreditieren. Das ist der Führungslosigkeit einer Behörde zu verdanken, deren Funktionieren die Grundlage für ein funktionierendes Zusammenleben in Dortmund ist.
Gregor Lange hat den „Pannekopp“-Orden verdient, die halbherzigen Versuche, das in Frage zu stellen, überzeugen uns nicht.


Bastian Pütter

Redaktion bodo
A propos Fakten…
Die Ruhr Nachrichten Dortmund berichten auch darüber, dass die Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Pannekopp-Verleihung an Lange kritisiert.
Bei Twitter warb die Ruhr Nachrichten Dortmund für diesen Artikel wie folgt:
"Beschämend" – jetzt äußert sich die Polizei zum "Pannekopp" für Gregor Lange: http://t.co/EyNBw0xIEK pic.twitter.com/shXQYpaUjK
— RN Dortmund (@RN_DORTMUND) 20. Februar 2015
Auf Nachfrage erklärten die Ruhr Nachrichten, dass ganze sei „etwas ungenau formuliert“ – denn es war ja nicht die Polizei. Von dort hörte das Pottblog ja exklusiv, dass man sich als Polizei dazu nicht äußern könne („kein Kommentar“).
Ich finde das ist für gewisse Artikel der Ruhr Nachrichten Dortmund von heute auch eine zutreffende Formulierung.