Brustkrebsvorsorge-Skandal auch ein politischer Skandal um das Essener-Bürger-Bündnis EBB?
In einer aktuellen Kolumne von Essens Oberbürgermeister Reinhard Pass, die derzeit (noch!) hier auf essen.de erreichbar ist, widmet er sich dem Thema der ausufernden Plakatwerbung zur kommenden Kommunalwahl. Spötter meinen da natürlich schon erkennen zu wollen, dass der in diesem Jahr nicht zur Wahl stehende Oberbürgermeister auf das kommende Jahr anspielen wird, wo gerüchteweise auch ganz wenige Paß-Plakate hängen werden, denn seine eigenen Genossen von der SPD Essen sind wohl nicht so zufrieden mit ihm…
Einige der Plakate die mir jedoch persönlich in Essen aufgrund ihrer Gestaltung aufgefallen waren, waren die vom Essener Bürger-Bündnis (EBB), das sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag aufweisen kann. Die Plakate fielen mir – ich wohne ja in Bochum und bin nur gelegentlich in Essen – deswegen auf, weil mich das Logo ansatzweise von der Gestaltung her (mit dem Quadrat) an das der Messe Essen erinnerte.
Einer der drei Ratsmitglieder von der EBB (das Foto stammt von der EBB-Seite zu den Ratsmitgliedern) ist momentan in die Diskussion geraten. Es handelt sich hierbei – und inzwischen wird der Name auch von WAZ & Co. öffentlich genannt – um Dr. Karlgeorg Krüger (links). Ausschlaggebender Punkt hierfür war unter anderem der Artikel Medizinskandal um die Brustkrebsvorsorge – Diagnose: Lebensgefahr aus der Süddeutschen Zeitung (SZ). Die SZ berichtet (nach einer gemeinsamen Recherche mit WDR und NDR) darüber, dass es frühzeitig massive Beschwerden gegen die Brustkrebsvorsorge für Essen, Mülheim an der Ruhr und Oberhausen gab. Unter anderem heißt es dazu:
Noch fataler wird die Sache, wenn man weiß, dass jener Dr. K., ein bekannter Essener Radiologe, die Brustkrebsvorsorge für Essen, Mülheim und Oberhausen leiten durfte, obwohl er die Qualifikation dafür jahrelang nicht nachgewiesen hatte. Zwischenzeitlich war seiner Screening-Einheit sogar die Genehmigung zur Durchführung des Screenings im Rahmen des bundesweiten Mammografie-Programms entzogen worden […] Doch als sich Frauen beschwerten, weil sie nicht untersucht wurden, durfte K. weitermachen.
Weiter heißt es bei der SZ:
Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung sind in dieser für die Städte Essen, Oberhausen und Mülheim (und damit für mehr als 130 000 Frauen) zuständigen Screening-Einheit im Rahmen des bundesweiten Mammografie-Programms jedes Jahr mehr als 30 000 Frauen untersucht worden, obwohl den dafür zuständigen Kontrollorganen massive Beschwerden aus der Ärzteschaft des Ruhrgebiets vorlagen. Und obwohl die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein die Genehmigung zwischenzeitlich widerrufen hatte.
Mehr dazu direkt bei der SZ, aber auch bei DerWesten und RP-Online.
Während anfangs es nur hieß, dass der betroffene Arzt Dr. K., der die Vorwürfe bestreitet, in der Kommunalpolitik aktiv sei. Man muss nicht lange suchen um herauszufinden, dass es sich um den Essener Radiologen Dr. Karlgeorg Krüger handelt, der für die EBB im Rat der Stadt Essen sitzt – und spätestens heute wurde der Name hunderttausendfach in den Zeitungen gedruckt veröffentlicht – siehe dazu auch: Mammografie-Skandal – Ex-Mitarbeiter belasten Arzt).
Die – bisher unbewiesenen! – Vorwürfe gegen Dr. Krüger sind (dazu berichtet Radio Essen, dass es inzwischen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Duisburg gegen ihn gibt) schrecklich, denn tausende von betroffenen Frauen müssen jetzt fürchten, dass die negativen (also vom reinen Befund her – sprich: vom Sprachgebrauch her die positiven) Ergebnisse vielleicht doch nicht richtig sind.
Doch das Pottblog interessiert hier eher der politische Hintergrund, der natürlich nicht so wichtig – aber dennoch interessant ist:
Essener Bürger-Bündnis stellt sich hinter Dr. Karlgeorg Krüger:
Es überrascht auf den ersten Blick nicht, dass das EBB sich hinter Dr. Krüger stellt, wie Radio Essen berichtet:
Udo Bayer, der Fraktionsvorsitzende der EBB, ordnet den Fall als rein beruflich ein und hält an seinem Parteikollegen fest. Er vermutet einen politischen Hintergrund.
So etwas ist nicht ungewöhnlich bei einer Partei und so würde ich es mir als Parteimitglied auch von meiner Partei in einem solchen Fall auch wünschen. Was jedoch den Fall etwas merkwürdig macht ist unter Umständen die Person des Fraktionsvorsitzenden Udo Bayer (der Link führt zum Ratsinformationssystem (RIS) der Stadt Essen). Auf der EBB-Seite, wo er als „Spitzenkandidat der EBB“ (mit Platz 1 der Reserveliste; interessanterweise scheint er aber keinen Direktwahlkreis zu haben) vorgestellt wird, heißt es, er sei „Beigeordneter a.D.“. Nach Pottblog-Informationen war der ehemalige Lehrer als Dezernent in Essen für die Schulen zuständig. Im RIS der Stadt Essen findet sich aber noch was interessantes:
Zu den „sonstigen Mitgliedschaften“ gemäß § 16 Korruptionsbekämpfungsgesetz findet sich die Information, dass er einen „Beratervertrag“ beim DIAVERO Diagnosezentrum besitzt… und jetzt darf man dreimal raten, welcher Arzt als erster im Impressum des Diavero-Diagnosezentrums genannt wird…
Persönlich stellt sich mir da schon die Frage, inwiefern ein ehemaliger Schuldezernent ein solches Diagnosezentrum fachlich beraten kann. Schulen und Brustkrebs – da liegt die Verbindung nicht wirklich nahe…
Predigt das EBB Wasser und trinkt Wein?
Wenn man den EBB-Flyer „Kompetenz statt Filz“ sich anschaut, mit dem das EBB derzeit für sich wirbt, sich anschaut, dann wirkt das ganze doch schon etwas merkwürdig.
Inwiefern das EBB seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird, bleibt übrigens angesichts der folgenden Artikel fraglich:
- Lokalkompass: Essener Selbstbedienungs-Bündnis langt zu (die EBB-Fraktion, als kleinste Fraktion im Rat der Stadt Essen, rechnete 2013 mehr Sitzungsgelder ab, als die größte Fraktion (SPD) im Essener Rat…)
- DerWesten: Topverdiener Essener Bürgerbündnis
Auf einer Wahlkampfseite (Schwerpunktthema: Vetternwirtschaft) schreibt das EBB:
Der Filz.
Die Politik in unserer Stadt ist verfilzt. […] die etablierten Parteien behandeln im Schulterschluss mit der Verwaltung die Stadt als ihr Eigentum. […]“
Reaktion des EBB:
Natürlich hat das Pottblog dahingehend beim EBB und dem Fraktionsvorsitzenden Udo Bayer nachgefragt:
Konsequenzen falls die Vorwürfe wahr sind?
Es wurde gefragt, falls die Vorwürfe berechtigt sind (die Staatsanwaltschaft ermittelt ja bereits), das EBB sich von Dr. Karlgeorg Krüger distanziert und ggf. gebeten wird, sein Ratsmandat (falls er eines erzielt) abzugeben.
Die Antwort:
Gegenüber Radio Essen habe ich erklärt, dass es höchst seltsam anmutet, dass 10 Tage vor der Kommunalwahl Vorgänge skandalisiert werden, die in der Vergangenheit liegen und längst abgeschlossen sind. Es dränge sich der Eindruck auf, dass hier eine politische Instrumentalisierung versucht werde. Im Übrigen habe ich ausgeführt, dass es für uns derzeit keinerlei Anlass gibt, Zweifel an den Aussagen unseres Kollegen Dr. Krüger zu hegen.
Die von der Staatsanwaltschaft in der Vergangenheit durchgeführten Ermittlungen wurden im Februar dieses Jahres eingestellt. Ob es jetzt nach einer neuen Anzeige zu neuen Ermittlungen kommt, entzieht sich unserer Kenntnis. Im Augenblick sehen wir jedenfalls keinen Anlass, uns von Dr. Krüger zu distanzieren. Im Übrigen gilt – bis zum Beweis des Gegenteils – für jeden Menschen die Unschuldsvermutung.
Beratervertrag zwischen dem EBB-Fraktionsvorsitzenden Udo Bayer und dem Diavero Diagnosezentrum (EBB-Ratsmitglied Dr. Karlgeorg Krüger: Qualifikation und etwaige Befangenheit?
Das Pottblog fragte nach der Qualifikation des ehemaligen Lehrers und ehemaligen Schuldezernenten Udo Bayer und ob sich daraus nicht eine Abhängigkeit ergeben könnte.
Die Antwort:
Zu meiner Person: bevor ich Schul-, Kultur- und Sportdezernent der Stadt Essen wurde, habe ich als Oberstudiendirektor das Leibniz-Gymnasium in Essen geleitet. Nach meinen Staatsexamina „mit Auszeichnung“ wurde ich Gymnasiallehrer und 1980 einer der jüngsten Studiendirektoren in NRW.
Ich habe gegenüber der Stadt Essen korrekt angezeigt, dass ich gegenüber dem Auftraggeber Dr. Krüger einen kleinen Beratervertrag habe. Gegenstand dieses Beratervertrages ist in § 1 des Vertrages eindeutig geregelt: „Beratung in kommunalpolitischen und regionalpolitischen Fragen“. Es ist also völlig abwegig, mich in einen Zusammenhang mit einer Beratungstätigkeit medizinisch-fachlicher Art mit dem Diavero-Diagnose-Zentrum zu bringen.
Anmerkung des Pottblogs: Das ist wirklich abwegig. Und hat auch niemand gemacht. Es ging eher darum, dass es merkwürdig ist, dass der EBB-Fraktionsvorsitzende einen Beratervertrag mit einem EBB-Ratsmitglied hat. Noch kurioser wird es beim Thema – es dürfte ziemlich ungewöhnlich sein, dass Kommunalpolitiker gegenseitig sich per Beratervertrag kommunalpolitisch beraten…
EBB-Wahlkampfslogan „Kompetenz statt Filz“ – und was war da mit den Sitzungsgeldern?
Das Pottblog fragte an, wie sich der Slogan mit dem Beratervertrag des ehemaligen Schuldezernenten beim Diavero Diagnosezentrum in Einklang und den Medienberichten über die hohe Anzahl der durch die EBB-Fraktion abgerechneten Sitzungsgelder in Einklang bringen lässt.
Die Antwort:
Zu der Fragestellung von Sitzungsgeldern, Aufwandsentschädigungen und Verdienstausfall hat der Oberbürgermeister in einem Schreiben vom 7.4.2014 unzweideutig Stellung genommen, das wir als Anlage beifügen. Aus der entsprechenden Aufstellung geht hervor, dass die durchschnittlichen Kosten pro Ratsmitglied/Sachkundige Bürger für das ESSENER BÜRGER BÜNDNIS den geringsten Betrag ausmacht. Entsprechende Berichterstattungen in der Essener Presse sind erfolgt. Die Darstellung der WAZ vom 16.4.2014 fügen wir Ihnen ebenfalls als Anlage bei.
Damit dürfte auch klar sein, dass die Thematisierung von „Filz“ im Wahlkampf keineswegs „im Widerspruch zur Abrechnung der Sitzungsgelder 2013“ steht.
Der erwähnte Artikel der WAZ findet sich beim EBB direkt auf der Seite (Vorwurf der Abzocke ist entkräftet) und bei derwesten.de.
Das Schreiben des OB, aus dem tatsächlich hervorgeht, dass die Kosten pro Fraktionsmitglied beim EBB insgesamt am geringsten ist (was aber wohl daran liegt, dass größere Fraktionen auch mehr Zuschüsse erhalten), wird im Pottblog erst einmal nicht veröffentlicht (aus rechtlichen wie auch aus technischen Gründen).
Auf die Frage ob sich das mit dem Anti-Filz-Slogan und dem Beratervertrag nicht beißt, wurde übrigens nicht eingegangen…