Geierabend 2014: Bissiger, lässiger, respektloser oder einfach: der beste Geierabend seit Jahren!
Vergangene Mittwoch begann die aktuelle Session vom Geierabend.
Beim Geierabend handelt es sich – laut der Wikipedia-Beschreibung zum Geierabend – um einen „alternativen Karneval“, bei dem „eine Karnevals-Prunksitzung persifliert“ wird.
Also Karnevalshasser brauchen keine Angst vor Büttenreden, Funkenmariechen und sonstigen Inhalten von typischen Karnevalsveranstaltungen haben. Das gibt es beim Geierabend nicht.
Ähnlich wie eine gewisse Stunksitzung aus Köln hat sich der Geierabend als alternative Karnevalsveranstaltung aus Dortmund etabliert, die mit viel Wortwitz, aber auch Sangeseinlagen usw. die Zuschauer begeistert.
In der 23. Saison ((oder Session um im Karnevalsslang zu bleiben)) findet das Programm unter dem Motto Späßchen in der Grube statt, wobei da schon ein Fehler drin vorliegt:
Denn die Verkleinerungsform „chen“ passt sicherlich zu der einen oder anderen Sache – aber nicht zum Geierabend – ohne diesem Bericht etwas vorwegnehmen zu wollen.
Aber a propos vorwegnehmen: Da halte ich mich ja selber nicht dran, denn in der Pause der Premierenveranstaltung twitterte ich:
Kurze Analyse der 1. @Geierabend Hälfte gerade dem Steiger @Artizan61 mitgeteilt: Bissiger, pointierter, respektloser! #Geierabend #fb
— Pottblog (@Pottblog) 9. Januar 2014
Der Geierabend startet auch in seiner 23. Saison wie üblich mit einem musikalischen Beitrag unter dem Titel Späßchen in der Grube, bevor „der Präsident“ und „der Steiger“ sich begrüßen und sich in diesem kurzen Beitrag einem Thema wie „Gender“ und der korrekten Sprache widmen. Damit zeigen die Macher schon, wo es diesmal lang geht.
Denn nicht nur der zwischen den einzelnen Darbietungen das Wort übernehmende Steiger, der aus der Lore das Geschehen kommentiert, formuliert die eine oder andere brutale Wahrheit bissig und zynisch, auch die einzelnen Programmpunkte sind immer wieder so, wie man sich politisches und gesellschaftlich relevantes Kabarett vorstellt – jenseits von irgendwelchen Scherzakrobaten, die meinen nur über das Verhältnis von Frau und Mann Leute zum lachen bringen wollen.
Schon die zweite Nummer, der Dialog zwischen Osman und Yüksel (bei dem der neue Ensemble-Darsteller Murat Kayı richtig auftrumpft!), bei der es um Zigeneuer respektive Sinti und Roma geht, zeichnet den inhaltlichen Weg dieser Session vor – und wird begeistert vom Publikum aufgenommen (nachdem der erste „Schreck“ ob der Direktheit überwunden ward).

Geierabend 2014: Tebartz-van Elst (Foto: StandOut)
Doch auch vom künstlerischen Aspekt her gibt es spannende Nummern, beispielsweise den Sprechchor mit Karnevals-Liedern der zeitweilig an Hape Kerkelings Hurz erinnert und enorme Konzentration bei den Akteuren erfordert – ich glaube jeder der so etwas selber probiert, würde vor Lachen keinen geraden Ton herausbringen.
Mit der Nummer Das neue Testament von und mit Tebartz von Elst wird der „Protz-Bischof“ aus Limburg, dessen Angelegenheit um die teuren Baumaßnahmen noch immer nicht endgültig geklärt wird, noch einmal in das kollektive Bewußtsein gehoben und hier könnte der eine oder andere sehr religiöse Mensch vielleicht Probleme mit haben ((damit wäre diese Szene auch ein Favorit für den WDR-Schnitt, denn die TV-Übertragung des Geierabends zeigt bekanntlich aus – offiziell – zeitlichen Gründen nicht alles))…
„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ich in einen R4!“
Tebartz von Elst beim Geierabend 2014

Geierabend 2014: Angela Merkel (Foto: StandOut)
Natürlich wird auch die aktuelle Politik der „GroKo“, der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD, auf die Schippe genommen. Hier begeister vor allem Franziska Mense-Moritz als Angela Merkel (wiewohl ich immer noch der Meinung bin, dass sie eine perfekte Hannelore Kraft abgeben würde), die ihre Regierungserklärung singend im Duett mit Sigmar Gabriel abdeckt ((wiewohl es im Publikum auch teilweise Verwirrung um dessen Person gab…)).
„Ich mach nicht die Laute, zeig euch einfach meine Raute, ich bin alternativlos, gebt fein Acht, was Mutti sacht, das wird gemacht.“
Angela Merkel beim Geierabend 2014

Geierabend 2014: Neues aus Schnöttentrop (Foto: StandOut)
Die Geierabend-Kenner freuen sich natürlich vor allem darüber, wenn bekanntgewordene Elemente immer wieder auftauchen – und Joachim Schlendersack, der Neues aus Schnöttentropp (an der Schnötte im Sauerland) berichtet, gehört definitiv dazu. Auch dieses Stück ist wieder einmal ein fortwährender Schenkelklopfer, wird aber kurze Zeit später vom damit verbundenen Percussion-Einsatz der katholischen Landfrauen Schnöttentropps auf Milchkannen(!) getoppt.

Geierabend 2014: NSA-Karneval (Foto: StandOut)
In der zweiten Hälfte sind neben der karnevalistischen Aufarbeitung der NSA-Affäre fast nur noch bekannte Nummern (wie z.B. die Hossa-Boys) zu sehen, was aufgrund des Wiedererkennungswertes zu einem erhöhten Jubel in der zweiten Hälfte der Veranstaltung führt.

Geierabend 2014: Wo ich bin ist Raucherecke (Foto: StandOut)
Dazu gehört definitiv auch Franziska Mense-Moritz als „Bandscheibe“ bzw. als „Wo ich bin ist Raucherecke“ die über das politische korrekte Rauchverbot und deren Protagonisten herzieht.
„Rauchen können sie verbieten, aber die NPD läuft immer noch frei herum!“
Die Bandscheibe beim Geierabend 2014
Das bei dieser Nummer nicht nur Raucher auf ihre Kosten kamen, zeigte der große und verdiente Jubel zu den teilweise unbequemen Wahrheiten über die „Gutmenschen“.

Geierabend 2014: FDP Dortmund-Nordstadt (Foto: StandOut)
Ein Geierabend ohne die FDP Dortmunder Nordstadt wäre natürlich auch nicht ein Geierabend – doch der Vorsitzende des erfolgreichsten FDP-Ortsvereines hat dann doch keinen großen Erfolg bei der vergangenen Bundestagswahl gehabt:
„Nur 61.000 Stimmen mehr, und mein Udo säße heute im Bundestag. Nach der Wahl hat ihn die FDP so schäbig behandelt. Wie eine Frau, sagt Udo, nur noch schlechter, sagt Udo.“
Udo und Moni von der FDP Dortmunder Nordstadt beim Geierabend 2014

Geierabend 2014: Die Zwei vonne Südtribüne (Foto: StandOut)
Der Geierabend wäre nicht der Geierabend, wenn nicht auch Borussia Dortmund adäquat vorkommen würde.
Und damit meine ich nicht nur einen interessanten Vergleich bei einem Auftritt des Steigers, der durch den stimmlichen Einsatz aus dem Publikum erst vollendet wurde, sondern natürlich auch Die Zwei vonne Südtribüne, die schwarz-gelben Bierphilosophen, die sich immer wieder dem Fußball an sich, dem BVB im speziellen (und das vor allem unter Einfluss des kühlen Gerstensaftes) widmen.

Geierabend 2014: Martin Kaysh (Der Steiger) und der Pannekopp-Orden (Foto: StandOut)
Zum Geierabend gehört aber auch untrennbar der Pannekopp des Jahres: Ein mehrere dutzend Kilogramm schwerer Ehrenpreis, der der Person oder Institution verliehen wird, die sich im vergangenen Jahr besonders schlecht verdient gemacht hat (siehe oben). Dieses Jahr gibt es zwei Kandidaten, für die man auch online bei geierabend.de (dort gibt es auch die ausführlichen und treffsicheren Begründungen) abstimmen kann:
- Gerald Baars (WDR-Studio Dortmund) für den moralischen Südtribünen-Blackout (als die WDR-Lokalzeit Dortmund für einige Tage die Südtribüne aus dem Vorspann ausblendete; siehe auch die folgenden Beiträge im Pottblog: I, II und III).
- FC Schalke 04 für die Rettung der „Beleidigten Leberwurst“ (man war ja beleidigt, dass das ZDF lieber die Champions League-Spiele des BVB zeigte).
Normalerweise wäre die Entscheidung des dortmund-affinen Publikums klar gewesen – aber mit der Wahl der beiden Kandidaten hat man da natürlich die Qual der Wahl: Es stellt sich schließlich die Frage, ob Gerald Baars als moralischer Zeigefinger, der viele tausende BVB-Fans in mediale Sippenhaft genommen hat, eher Zustimmung findet, als die Aussicht, den ungeliebten Verein aus Herne-West zum Pannekopp des Jahres zu wählen. Aber dürfen die Schalker denn in Dortmund irgendwas gewinnen? Während bei der Premiere knapp Gerald Baars vorne lag, ist beim Online-Voting (siehe Link oben) momentan Schalke führend.
Der eigentliche Gewinner wird natürlich erst am 4. März verkündet und erst dann weiß man, ob der Preisträger wie fast alle anderen Preisträger zuvor ((bis auf Dortmunds SPD-Vorsitzenden Franz Drabig im Jahr 2009)) die Annahme des Preises verweigert.
Mein Fazit zum Geierabend 2014:
Um mit der Überschrift zu sprechen: Bissiger, lässiger, respektloser oder einfach: der beste Geierabend seit Jahren!
In diesem Jahr haben sich die Geier wohl als Aufgabe vorgenommen, alles mindestens eine Stufe besser zu machen: Sowohl das Ensemble (dessen Neuzugang Murat Kayı eine wahre Bereicherung ist!), als auch die Band steigerten sich deutlich. Die Texte nicht nur des Steigers (Martin Kaysh) wurden deutlich bissiger und pointierter, auch in vielen Nummern zeigt man mit kabarettistischen Mitteln die Missstände unserer Gesellschaft pointiert und ohne Rücksicht auf irgendeine politische Korrektheit auf. Schön auch die Zusammenstellung von alten und neuen Nummern, denn gerade wenn altbekannte Nummern (was sich natürlich nur auf die darstellenden Person und nicht auf den Inhalt bezieht!) gezeigt werden, gibt das einen positiven Wiedererkennungseffekt. Da muss beispielsweise Franziska Mense-Moritz als „Die Bandscheibe“ nur kurz „Wo ich bin ist…“ intonieren, damit das gesammelte Publikum „Raucherecke“ als Antwort intoniert.
Zwar ist die eine oder andere Nummer (Wämser und Missgeburt, die AWO-Opas) weggefallen, leider ist auch das Ensemble mit dem Neuzugang nicht gewachsen (da Benedict Hahn die Geier verlassen hat – für Köln… also wirklich!), aber insgesamt gesehen ist der Geierabend 2014 eine bissige, runde Sache und eine echte Empfehlung wert.
Wer die Möglichkeit hat sich eine der Geierabend-Vorstellungen (die noch bis zum 4. März 2014 stattfinden) anzuschauen, sollte die Chance nutzen – Tickets gibt es unter anderem online unter geierabend.de, ansonsten beim Leserladen der Westfälischen Rundschau (WR) in Dortmund, dem Theater Fletch Bizzel in Dortmund, Tante Amanda in Dortmund-Westerfilde und bei allen Leserläden der WAZ und Leser-Services mit Ticketverkauf.
Weitere Stimmen zum Geierabend 2014:
Wer nach der Premiere nicht schnell genug war – den habe ich versucht vor mein Mikrofon zu bekommen (okay, insgesamt waren es nur zwei Versuche – und somit habe ich eine 100 % Erfolgsrate!):
Karola Geiß-Netthöfel, Regionaldirektorin des Regionalverbandes Ruhr (RVR)
Nachfolgend das kurze Gespräch mit Regionaldirektorin Karola Geiß-Netthöfel vom Regionalverband Ruhr (RVR):
Pottblog: Karola Geiß-Netthöfel, Regionalpräsidentin des Regionalverbundes Ruhr, …
Karola Geiß-Netthöfel: Regionaldirektorin…
Pottblog: Ups, ja, Regionaldirektorin. Es gibt ja beim Geierabend den Präsidenten, vielleicht habe ich das deswegen verwechselt, tut mir leid.
Waren Sie zum ersten Mal beim Geierabend?
Karola Geiß-Netthöfel: Nein, ich habe mal gezählt – zum vierten Mal!
Pottblog: Wie hat Ihnen das dieses Jahr gefallen?
Karola Geiß-Netthöfel: Ja, insgesamt recht gut. Bei manchen Sachen ist mir so ein bisschen das Lachen ein wenig im Halse stecken geblieben.
Pottblog: Sie haben also auch gemerkt, dass es ein wenig bissiger wurde.
Karola Geiß-Netthöfel: Ja, es war in der Vergangenheit ja auch schon bissig. Ich erinnere mich: Vor einigen Jahren als die Loveparade thematisiert wurde… das fand ich eben nicht ganz so klasse.
Pottblog: Welche Nummer fanden Sie diesmal am besten?
Karola Geiß-Netthöfel: Also Angie hat mir gut gefallen, die fand ich wirklich gut. Klasse! Die üblichen Sachen die Wiedererkennungswert haben: Die Zwei vonne Südtribüne beispielsweise – das ist immer wieder toll.
Norbert Römer, Vorsitzender der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, Norbert Römer, stand auch kurz für ein paar Fragen zur Verfügung:
Pottblog: Wie hat es Ihnen bei der Geierabend-Premiere gefallen?
Norbert Römer: Ich bin ja seit vielen Jahren ein ständiger Gast hier. Mir gefällt es unheimlich gut, ich mag die Leute, ich kenne die Jungs und Mädels und weiß die machen ein tolles Programm.
Pottblog: Gab es eine Nummer, die ihnen besonders gut gefallen hat?
Norbert Römer: Mir gefällt alles was die machen, deswegen will ich auch nichts herausheben. Ich mag vor allem, wenn die anfangen zu singen, weil das eine unheimliche Stimmung ist.
Pottblog: Als langjährigen Gast – ist Ihnen da auch aufgefallen, dass es bissiger geworden ist?
Norbert Römer: Ja bissiger will ich nicht sagen, aber die haben schon ein bisschen zugelangt. Das muss ja auch mal ab und zu sein. Das macht ja auch die Stimmung hier aus. Das ist aber auch ein bisschen anders als im Karneval, hier muss man auch mal zu langen dürfen. Die Reaktion im Publikum war ja auch so, dass die Leute das gut aufnehmen. Ich finde die haben das gut gemacht, es war eine tolle Premiere!
Pottblog: Es lohnt sich also für jeden Sauerländer ins Ruhrtal hinabzusteigen?
Norbert Römer: Das sowieso, wir kommen auch wieder und mit vielen Freunden und werden auch öfters hier sein!
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