Friedensarbeit gegen das Vergessen – NRW-Ministerin Sylvia Löhrmann über ihre Reise mit Schülerinnen und Schülern nach Ypern, Belgien
2014. Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg und stürzte Europa erstmalig im vergangenen Jahrhundert ins Verderben. Ein Ereignis, welches aus der Erinnerung vieler bereits verblasst ist. Gegen dieses Vergessen wendet sich seit Jahren eine aktive Friedensarbeit.
Anlässlich des Jahrestages zum Waffenstillstand (am 11. November 1918) nahm im vergangenen November die nordrhein-westfälische Ministerin für Schule und Weiterbildung ((die Grünen-Politikerin ist auch stellvertretende Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen)), Sylvia Löhrmann ((siehe Wikipedia: Sylvia Löhrmann)), an einer Fahrt von Schülergruppen aus dem Ruhrgebiet (der Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen und dem Willy-Brandt-Gesamtschule Bottrop) teil, die Erinnerungsorte des Ersten Weltkrieges besuchten.
In dem nachfolgenden Gastbeitrag beschreibt Sylvia Löhrmann ihre Reise:
Friedensarbeit gegen das Vergessen – Ministerin Löhrmann über ihre Reise mit Schülerinnen und Schülern nach Belgien
Es gibt immer weniger lebende Zeitzeugen, die aus eigener Erfahrung von den Schrecken eines Krieges berichten können. Das stellt uns vor eine große Herausforderung: Wir müssen neue Wege finden, die Erinnerungen wachzuhalten. „Nur wer sich erinnert, kann Gefahren für die Zukunft bannen“, hat unser ehemaliger Bundespräsident Roman Herzog 1995 in einer Ansprache im Konzentrationslager Bergen-Belsen gesagt. Auch Hildegard Hamm-Brücher, die sich seit vielen Jahren leidenschaftlich für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie einsetzt, hat es mit dem Titel ihres Buches „Erinnern für die Zukunft“ auf den Punkt gebracht. Und mir als Schulministerin liegen politische Bildung und Erinnerungskultur in unseren Schulen besonders am Herzen.
Es sind überwiegend stille Zeitzeugen, die ich Anfang November (10. und 11.11.) als Schulministerin gemeinsam mit der Gesamtschule Berger Feld aus Gelsenkirchen und der Bottroper Willy-Brandt-Gesamtschule besucht habe. Zusammen haben wir uns nach Belgien zu Erinnerungsorten des Ersten Weltkriegs begeben: Nach Ypern, der Stadt in Flandern, die im Krieg völlig zerstört, danach wieder aufgebaut wurde und heute wohl wie kaum eine zweite für die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg steht.
Wir haben das Flanders Fields-Museum besucht, an der großen Zeremonie am Kriegsdenkmal „Menen-Tor“ zum Gedenken an den Waffenstillstand am 11. November 1918 teilgenommen und einen Kranz bei der „Last-Post“-Gedenkfeier niedergelegt.
Und auch die großen Soldatenfriedhöfe im Umland waren Ziel unserer Reise: die französische Kriegsgräberstätte Saint-Charles-de-Potyze, der britische Soldatenfriedhof Tyne Cot und die deutsche Kriegsgräberstätte Langemark.
Warum Flandern, der Erste Weltkrieg und eine gemeinsame Reise mit Schülerinnen und Schülern? Weil der Erste Weltkrieg ein furchtbar grausames Kapitel Zeitgeschichte markiert, für das unser Land maßgeblich Verantwortung trägt. Deshalb ist nicht nur der Zweite Weltkrieg, sondern auch der Erste Weltkrieg fest in den Lehrplänen aller Schulformen Nordrhein-Westfalens verankert. Erst im Oktober haben wir zur Erinnerungskultur ein neues Konzept vorgestellt, an dem sich alle NRW-Schulen beteiligen können. Hildegard Hamm-Brücher hat nicht nur die Schirmherrschaft übernommen, sondern uns den Titel ihres Buches „Erinnern für die Zukunft“ für unser Konzept geschenkt. Besonders im nächsten Jahr wird der Erste Weltkrieg im Fokus stehen, weil sich sein Beginn zum 100sten Mal jährt. Die Schulen in Nordrhein-Westfalen finden für die Umsetzung der Thematik viele verlässliche Partner wie etwa den „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ und viele örtliche Organisationen und Initiativen.
Eine Schule, die sich schon seit 13 Jahren in einem Friedensprojekt beispielhaft für das Thema Erster Weltkrieg engagiert, ist die Gesamtschule Berger Feld aus Gelsenkirchen. In dem Projekt erarbeiten, präsentieren und evaluieren die Schülerinnen und Schüler Programme, Aktivitäten und auch Facharbeiten, die sich auf vielfältige Weise mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigen. Dabei ist es eine wichtige Säule des Projekts, mit den Schülerinnen und Schülern des 12. Jahrganges nach Ypern zur Teilnahme an den dortigen Gedenkveranstaltungen zum Ersten Weltkrieg zu fahren. Durch eine über die Jahre gewachsene Kooperation mit der belgischen Schule „Technisch Instituut Heilige Familie“ in Ypern werden gegenseitige Besuche in Belgien und Deutschland möglich gemacht. Begegnung, Erlebnischarakter und intensive inhaltliche Auseinandersetzung lassen die Schülerinnen und Schüler besonders wertvolle und auch emotionale Erfahrungen mit Nachhall sammeln. Das Friedensprojekt der Gesamtschule Berger Feld bildete schließlich auch die Grundlage für unseren gemeinsamen Besuch mit der Bottroper Willy-Brandt-Gesamtschule in Ypern.
Die Eindrücke, die wir in diesen zwei Tagen aus Belgien mitnehmen, sind überwältigend: Das Flanders Fields-Museum in Ypern zeigt, wie Gedenken ohne Zeitzeugen lebendig und eindrucksvoll gestaltet werden kann. Die moderne Ausstellung ist multimedial und interaktiv. Die zahlreichen, auch internationalen Besucherinnen und Besucher, darunter viele Familien, sind der Beweis dafür, dass die Ausstellung für alle Altersgruppen gleichermaßen ansprechend ist. Bei einer 
17-jährigen Schülerin hat die intensive Auseinandersetzung im Rahmen des Friedensprojektes dazu geführt, dass sie bei unserem abendlichen Besuch auf dem Friedhof Langemark eine Anti-Kriegs-Rede hält – ganz ohne Pathos, aber in ihrer Schlichtheit umso nachdrücklicher. Die uns begleitenden Gäste, vor allem englische Soldaten, sind tief berührt. Hier, mitten zwischen den deutschen Kriegsgräbern mit ihren düstergrauen Grabsteinen wird schmerzhaft klar: Die deutsche Geschichte ist untrennbar mit dem Ersten Weltkrieg verbunden. – Die Jugendlichen aus NRW stehen für ein anderes Deutschland.
Die offiziellen Gedenkveranstaltungen in diesen Tagen zeigen, andere Nationen haben eigene Traditionen, ihrer Toten zu gedenken. Sinnbild für die Erinnerung an die Millionen Toten des Ersten Weltkrieges ist die rote Klatschmohnblüte, die in diesen Tagen des Gedenkens in Belgien, Frankreich und Großbritannien an fast jeden Mantel und an fast jede Jacke geheftet ist. Mitten auf den Schlachtfeldern Flanderns blühte in den Sommern ab 1914 der Mohn.
„We are the dead. Short days ago
We lived, felt dawn, saw sunset glow,
Loved, and were loved, and now we lie
In Flanders fields.“
Mit diesen Worten verarbeitete der kanadische Oberstleutnant John McCrae am 3. Mai 1915 in dem berühmten Gedicht „In Flanders Fields“ seine Eindrücke und die Trauer über den Tod eines Freundes, der am Vortag bei einem Granatenangriff in der zweiten Flandernschlacht bei Ypern gefallen war. Beim Lesen dieser Zeilen überkommt einen die unmenschliche Grausamkeit des Krieges.
Schnell sind wir im Heute angekommen. Wir haben auf unserer Reise erfahren, wie wichtig es ist, zu gedenken und sich zu erinnern – für die Zukunft, um die Gefahren zu bannen.
Sylvia Löhrmann
Weitere Informationen:
Weitergehende Informationen zur Erinnerungskultur bietet das Bildungsportal des Schulministeriums: Stärkung der Erinnerungskultur in den Schulen Nordrhein-Westfalens
Einen interessanten Artikel zur Reise hat Fotograf und Autor Sepp Spiegl ((von dem auch die Bilder – abgesehen von dem Pressefoto Sylvia Löhrmanns am Anfang – stammen, und die vom Ministerium dem Pottblog zur Verfügung gestellt wurde)) für das Online-Magazin rantlos.de verfasst: Verloren und vergessen?
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