Landtagswahl 2012 in NRW: Warum Norbert Röttgen (CDU) befürchtet, sein Ministerium in Berlin aufzugeben
Die Kurzfassung (tl;dr): N. Röttgen (CDU) hat evtl. Angst Berliner Ämter aufzugeben, da er nach Landtagswahl #nrw12 wg. Verfassung/Gesetz ohne Amt und Mandat sein könnte.
Seit rund anderthalb Jahren ist Norbert Röttgen (CDU), der derzeit amtierende Bundesumweltminister, der Nachfolger des abgewählten Jürgen Rüttgers als Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen CDU.
Somit hatte er seit Ende Oktober 2010 Zeit sich zu überlegen, wie er sich denn selber persönlich aufstellt, sobald in Nordrhein-Westfalen wieder gewählt wird. Der eigenen CDU-Rhetorik zufolge war es ja nur eine Frage der Zeit, bis die Minderheitsregierung zerbrechen würde. So erklärte er auch in einem wenige Tage alten Interview bei RP-Online, dass ihn das Scheitern der rot-grünen Landesregierung nicht überraschen würde.
Wenn ihn das ganze nicht überrascht – warum hat er sich dann die letzten anderthalb Jahre keine Gedanken gemacht, wie er mit der neuen politischen Situation umgehen will?
Zwar sagt Röttgen jedem greifbaren Mikrofon, dass er nordrhein-westfälischer Ministerpräsident werden möchte, aber er erklärt sich nicht wirklich, ob er auch als Oppositionsführer nach Düsseldorf gehen würde. Angesichts aktueller Umfragen und seiner persönlichen „Un-„Beliebtheit gegenüber der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) wäre die Rolle des Oppositionsführers für ihn jedoch deutlich wahrscheinlicher als die des Ministerpräsidenten.
Doch im verlinkten RP-Interview erklärte er nur, dass er antritt um Ministerpräsident zu werden. Ein meiner Meinung nach notwendiges Nachhaken erfolgten durch die Rheinische Post (RP) dazu anscheinend nicht. Dieses nicht-Erklären führt soweit, dass ihm inzwischen sogar schon der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident ((und derzeit als Bundesratspräsident noch amtierender Bundespräsident)) Horst Seehofer öffentlich über Zeitungen auffordert, ohne Rückfahrkarte ((ins Bundesumweltministerium)) nach Berlin in den NRW-Wahlkampf zu ziehen (siehe dazu einen Artikel bei LR-Online).
Dafür wird Horst Seehofer zwar von Röttgens Parteifreunden kritisiert – beispielsweise äußerte sich der Bundestagsabgeordnete Thomas Jarzombek aus Düsseldorf ((der auch Beisitzer im Landesvorstand der CDU NRW ist)) via Twitter so dazu:
Ich wundere mich, dass sich Horst Seehofer so intensiv mit Wahlniederlagen auseinandersetzt – Vorahnung der Bayernwahl? #fb
— Thomas Jarzombek (@tj_tweets) März 17, 2012
Dennoch sieht das nicht nur der CSU-Chef so, sondern auch viele weitere Politiker der CDU, wie man Berichten der Medien (z.B. DerWesten und RP-Online) entnehmen kann. So will beispielsweise Bundeskanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel mit Norbert Röttgen reden.
Norbert Röttgen: Eher der Berliner Bundespolitiker als der NRW-Landespolitiker?
Schon vor seiner Wahl zum Landesvorsitzenden der nordrhein-westfälischen CDU warfen ihm seine Kritiker vor, dass er den Landesvorsitzeigentlich nur als „Karrieresprungbrett“ für Berlin haben wollte – denn es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Röttgen selber als möglichen Nachfolger von Angela Merkel sieht.
Auch sein merkwürdiges Lavieren in Bezug auf die Frage, ob er auch als Oppositionspolitiker in NRW bleiben würde, bestätigt jetzt natürlich die Vermutungen seiner Kritiker, dass er NRW nur als Durchgangsstation ansehen würde.
Doch sein Herumdrucksen hat zwei gute Gründe: Die nordrhein-westfälische Landesverfassung und das hiesige Wahlgesetz. DerWesten titelt es treffend: Norbert Röttgen ist zum Siegen verdammt.
Natürlich könnte er sich nicht am (negativen) Vorbild von Renate Künast orientieren ((diese hatte bekanntlich vor der Wahl in Berlin bekanntgegeben, dass sie nur als regierende Bürgermeisterin im „Land“ Berlin bleiben würde, ansonsten würde sie wieder ihre Arbeit als Bundespolitikerin aufnehmen – angeblich soll das entscheidend zur nicht-Wahl beigetragen haben)), sondern sich eher seine Parteifreundin Julia Klöckner als Vorbild nehmen: Diese war vor der rheinland-pfälzischen Landtagswahl als Staatssekretärin im Verbraucherschutzministerium zurückgetreten und hatte nach der Wahl das Amt der Oppositionsführerin in Mainz angetreten.
Artikel 52 (1) der Landesverfassung NRW
Die nordrhein-westfälische Landesverfassung regelt in Artikel 52 die Wahl des Ministerpräsidenten respektive der Ministerpräsidentin. Dort heißt es im ersten Absatz:
Der Landtag wählt aus seiner Mitte in geheimer Wahl ohne Aussprache den Ministerpräsidenten mit mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder.
Sprich: Ministerpräsident/in wird nur eine Person, die auch im Landtag als Abgeordnete/r sitzt. Insofern muss Norbert Röttgen erst einmal MdL (Mitglied des Landtags) werden.
Wie inzwischen bekannt wurde, will Norbert Röttgen, der aus dem Rhein-Sieg-Kreis stammt, in Bonn als CDU-Direktkandidat antreten – Bonn war und ist seine Heimat, so äußerte er sich gegenüber der Lokalpresse.
Den Landtagswahlkreis Bonn I vertritt der SPD-Abgeordnete Bernhard „Felix“ von Grünberg, der hier im Jahr 2010 mit mehr als 6 Prozentpunkten Vorsprung vor der CDU-Mitbewerberin sein Direktmandat gewann. Ob ein Landtagskandidat, der gar nicht aus dem eigentlichen Wahlkreis kommt, dem man ein höheres Interesse für die Berliner Politik nachsagt, ausgerechnet in Bonn gegen ein politisches Urgestein, welches seit Jahrzehnten vor Ort aktiv ist und seit 1971 regelmäßig Mieter- und Sozialberatungen vornimmt ((hierfür wurde er bereits mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet; siehe auch: mieterbund-nrw.de)), erfolgreich sein wird, ist eine spannende Frage…
Grünberg selber kommentiert das ganze in einer Pressemitteilung wie folgt:
[…] Erstaunt nimmt Bernhard „Felix“ von Grünberg, 2010 direkt gewählter Landtagsabgeordneter für Bonn und Beuel, die Kandidatur des Meckenheimers Norbert Röttgen in seinem Wahlkreis zur Kenntnis. „Dass der Bundesumweltminister hier und nicht im Rhein-Sieg-Kreis kandidiert, zeigt, wie wohl er sich offenbar in Berlin fühlt. Norbert Röttgen zieht’s nicht einmal ‚mit halber Kraft‘ nach Bonn und Düsseldorf“, so von Grünberg unter Verweis auf sein Ergebnis mit dem besten Erst-/Zweitstimmen-Verhältnis landesweit und einem Vorsprung von sechseinhalb Prozentpunkten vor der CDU-Kandidatin bei der Landtagswahl 2010. […]
Von Grünberg erwartet, dass es aufgrund der Berliner Verpflichtungen von Norbert Röttgen wohl nur wenige Gelegenheiten zur direkten politischen Auseinandersetzung geben wird. „Das gibt mir aber die Möglichkeit, auch im Wahlkampf das zu tun, was ich bereits seit vielen Jahren tue: Für die Anliegen der Bonnerinnen und Bonner da sein.“
Ob Norbert Röttgen als Direktkandidat in Bonn eine Chance haben wird, ist zumindestens fraglicher als bei Hannelore Kraft. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin konnte bei der Landtagswahl 2010 in ihrer Heimatstadt Mülheim an der Ruhr (respektive dem Landtagswahlkreis Mülheim I) mit 18 Prozentpunkten Vorsprung das Direktmandat gewinnen.
§ 33 des Gesetzes über die Wahl zum Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen (Landeswahlgesetz)
Wenn man nicht als Direktkandidat in das Parlament gewählt wird, hat man seiner Partei noch die Chance über einen Listenplatz gewählt zu werden. Für die Grünen, die FDP und die Linkspartei war dies bei der vergangenen Landtagswahl 2010 in NRW die einzige Möglichkeit Abgeordnete zu wählen, insofern spielt bei diesen Parteien der Listenplatz eine größere Rolle als bei CDU oder SPD.
CDU oder SPD haben hingegen speziell in Nordrhein-Westfalen das Problem, dass unter gewissen Umständen die sogenannte Landesliste mit den Listenplätzen nicht „zieht“, sprich: Kein/e Abgeordnete/r wird darüber MdL. Gerade die stimmenstärkste Partei hat damit ein Problem – bei den bisher 15 Landtagswahlen (bis einschließlich 2010) hat die Landesliste der stärksten Partei jeweils nur sieben mal gezogen.
In der Vergangenheit hatte diese besondere Regelung schon einige personelle Konsequenzen: Bei der Landtagswahl die 1995 zur ersten rot-grünen Landesregierung in NRW führte, verlor der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Friedhelm Farthmann sein Direktmandat. Da die SPD in den Wahlkreisen mit den Erststimmen die erfolgreichste Partei war, konnte auch sein guter Listenplatz nicht helfen – er wurde nicht in den Landtag gewählt ((konnte aber nachher in den Landtag nachrücken; das Amt des Fraktionsvorsitzenden war da natürlich schon wieder vergeben)). 2005, als Jürgen Rüttgers von der CDU zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, war die CDU-Landtagskandidatin Regina van Dinther ((über deren Mitgliedsbeiträge an die CDU lange diskutiert wurde…)) in ihrem Ruhrgebiets-Wahlkreis nicht erfolgreich und da auch die CDU-Liste nicht zog, war sie nicht gewählt. Doch noch bevor sich der Landtag konstituieren konnte, trat ein gewählter CDU-Abgeordneter von seinem gerade erst gewonnenen Mandat zurück ((um Staatssekretär im Verkehrsministerium zu werden)), damit van Dinther doch noch Landtagsabgeordnete (und Landtagspräsidentin) werden konnte…
Warum Norbert Röttgen ggf. gar nicht Oppositionsführer der CDU im nordrhein-westfälischen Landtag werden kann
Die besonderen Regularien Nordrhein-Westfalens ((die Beschränkung, dass der/die Ministerpräsident/in aus dem Landtag stammen muss, hat NRW ganz exklusiv in Deutschland – in allen anderen 15 Bundesländern respektive auch auf Bundesebene gibt es keine entsprechende Regelung)) sorgen dafür, dass Röttgen eine sehr schwere Situation hat:
Um überhaupt Ministerpräsident zu werden, muss er in Bonn sein Landtagsmandat gewinnen. Falls die CDU den nächsten Ministerpräsidenten stellen kann (wovon man aufgrund der aktuellen Umfragen nicht unbedingt ausgehen sollte), bedeutet dies für die CDU, dass sehr wahrscheinlich die Landesliste nicht zieht. Sprich: Ohne das Direktmandat für Röttgen sieht es schlecht für einen Ministerpräsidenten Röttgen aus.
Doch auch die Perspektive als Oppositionsführer sieht nicht so gut für Norbert Röttgen aus – denn der 2010 gewählte nordrhein-westfälische Landtag zeigte, dass die größte Oppositionspartei keine Abgeordneten über die Landesliste in den Landtag von Düsseldorf schicken konnte.
Insofern wäre es sehr wohl möglich, dass Norbert Röttgen nach einem Rücktritt aus der Berliner Politik (als Bundesumweltminister und Mitglied des Bundestages) und einer verlorenen Landtagswahl gar nichts mehr hat – weder den Posten als Ministerpräsidenten, noch die Möglichkeit als Oppositionsführer im nordrhein-westfälischen Landtag zu agieren. Das erklärt vielleicht, warum Röttgen sich bezüglich seiner weiteren Karriere eigentlich nicht genauer positionieren will. Wiewohl davon auszugehen ist, dass seine Parteifreunde dort weiter Druck auf ihn ausüben werden – denn ein CDU-Wahlkämpfer, der nur auf Sieg setzt, dürfte sich den Wählerinnen und Wählern nicht so gut verkaufen lassen. Jedenfalls nicht so gut wie beispielsweise Hannelore Kraft, die schon jetzt vorsorglich erklärt, dass sie in NRW bleibt (siehe LR-Online).
PS: Das Bild von Norbert Röttgen stammt von Laurence Chaperon bzw. dem Wikimedia-Nutzer Cducsu, steht unter CC-BY-Lizenz und wurde dem Archiv Wikimedia Commons entnommen.
danke, Jens, den Zusammenhang hatte ich schon vergessen. Interessanter Beitrag!
[…] NRW II: Warum Norbert Röttgen (CDU) befürchtet, sein Ministerium in Berlin aufzugeben…Pottblog […]
[…] Landtagswahl Nordrhein-Westfalen – Röttgen allein im roten Wahlkreis – Politik – sueddeutsche.de – Tritt der CDU-Spitzenkandidat extra in einem eher roten Wahlkreis an? Siehe auch diesen Pottblog-Artikel. […]
[…] Mit insgesamt 99 % der Stimmen wurde sie auf den Landeslistenplatz 1 gewählt – was natürlich eher theoretisch wichtig ist, da man wohl davon ausgeht, dass sie ihren Wahlkreis in Mülheim an der Ruhr (siehe auch diesen Artikel bei DerWesten) direkt gewinnen wird und als Landtagsabgeordnete im Düsseldorfer Landtag vertreten wird. Unwichtig ist das übrigens nicht mit dem Landtagssitz – denn gemäß der nordrhein-westfälischen Verfassung kann nur eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter Ministerpräsidentin bzw. Ministerpräsident werden. Das ist beispielsweise eine nicht kleine Hürde für Norbert Röttgen von der CDU (siehe auch diesen Beitrag im Pottblog). […]