„Hannelore Kraft und das Spermium“ – Fremdschämen mit der (über die?) Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Am 8. Juni 2011 gab es im ZDF ein sogenanntes Prominenten-Special der Quizshow Rette die Million mit Jörg Pilawa. Als Prominente waren der Schauspieler Karl Dall, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und der TV-Koch Horst Lichter (jeweils mit familiären Anhang) dabei.
Die Sendung selber war nette Unterhaltung, man konnte sich das ganze gut nebenbei anschauen und hatte auch den einen oder anderen Lacher dabei. Aber anscheinend bewegte die Sendung einige „Journalisten“ von der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) sehr, die daraus nicht nur ein Titelthema („Die Kraft-Show“), sondern auch noch das Tagesthema auf Seite 2 in der heutigen WAZ-Ausgabe machten.
Dummerweise stimmen jedoch entscheidende Passagen der Texte dazu nicht – aber wen stört schon die Recherche (die in diesem Fall aus dem genauen Zuhören zum TV-Ton besteht), wenn es die vorgefasste Meinung bzw. Geschichte u.U. kaputt macht?
Worum geht es eigentlich?
Nach ca. 50 Minuten (man kann sich Rette die Million in der ZDF-Mediathek komplett anschauen und direkt dorthin springen) gab es die 3. Frage (nebst folgenden Antworten), die aus der Kategorie Auf die Schnelle stammte:
Was bewegt sich mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von rund 107.000 Kilometern pro Stunde?
- ein Tsunami im Ozean
- ein Spermium zur Eizelle
- die Erde um die Sonne
- „Calli“ Calmund zum Buffet
Wie man es sich fast denken kann, gab es dabei aufgrund der zweiten Antwortoption mit dem Spermium den einen oder anderen Scherz – diese kamen jedoch primär von Moderator Jörg Pilawa, der so grimmeunverdächtige Sätze wie die folgenden sagte:
„Frau Kraft hält am Spermium fest“
oder
„107.000 Kilometer pro Stunde beim Spermium. Ich gucke mir die ganze Zeit ihren Mann an und denke: Boah! […] Das ist Schallgeschwindigkeit, das knallt ja!“
Wahrscheinlich waren es solche Sprüche, die die WAZ zu Artikeln wie Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und das Spermium motivierten. In dem Artikel von Monique de Cleur heißt es:
Bei Jörg Pilawas Quizshow „Rette die Million“ alberten Hannelore Kraft und ihr Mann Udo über Spermien, Schwangerschaft und die berühmten 20 Zentimeter.
Eine so anzügliche Ministerpräsidentin hat das Land wohl selten gesehen: Bei Jörg Pilawas Quizshow „Rette die Million“ alberten Hannelore Kraft und ihr Mann Udo über Spermien, Schwangerschaft und die berühmten 20 Zentimeter.
[…]20 Zentimeter: „Das sag ich meiner Frau seit Jahren“
Zu einem weiteren Höhepunkt kam die Quizshow, als Pilawa mit seinen Händen verdeutlichte: „20 Zentimeter!“ Darauf Udo Kraft: „Das sag ich meiner Frau seit Jahren.“
So erfüllte sich das Versprechen des Moderators vom Beginn der Sendung: „Man bekommt einen tiefen Einblick in die Beziehung, wenn man Paare spielen sieht.“ In diesem Fall war der Einblick tiefer, als der Wähler erwartet hatte.
Auch der Artikel Hannelore Kraft zeigt sich gern als Frau aus dem Volk von Theo Schumacher widmet sich dem Thema. Am Ende des Artikels gibt es ein Pro & Contra zur Frage, ob der Auftritt in Ordnung gewesen sei.
Dort schreibt Petra Koruhn in Sachen Contra (die Hervorhebung stammt von mir) zu dieser wirklich wichtigen Frage:
Frau Kraft hat sich verzockt; nicht nur, was die Million angeht. Eine Landesmutter mit Hang zum Herrenwitz – das hatte großes Fremdschäm-Potenzial.
Natürlich darf eine Ministerpräsidentin witzig sein (am liebsten immer), doch bekanntlich sind Altherrenwitze das Gegenteil von originell. Dieses nervige Spermientheater, dann die Betrachtung über „zwanzig Zentimeter“, die sich natürlich auch wieder auf den Bereich unter der Gürtellinie bezogen – schlicht peinlich. Es ist eine Frage des Stils, wie man Privates öffentlich macht.
Denken wir doch nur mal daran, als Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder bei Gottschalk auftrat – er blieb trotz Charme-Offensive immer Staatsmann, auch als er die Dame aus dem Publikum nach Haus[e] fuhr. Frau Kraft hat sich vom Boulevard verführen lassen: Zote für die Quote.
Meiner Meinung nach ist die ganze Kritik an der Sperma-Frage eher peinlich. Wenn man in einer Quizshow eine Frage gestellt bekommt, wo die Antwort so lautet, dann kann man da auf Kandidatenpaar ruhig eingehen, vor allem wenn der Moderator andauernd entsprechend anspielt. Sollte man etwa dazu hochgeschlossen schweigen?
Peinlich wird es jedoch, wenn der Ministerpräsidentin bzw. ihrem Ehemann Sätze in den Mund gelegt werden, die so in der Sendung gar nicht von diesen Personen gefallen sind!
20 cm – nie im Leben kleine Petra
Ganz im Stil des Zotenhits 20 cm – nie im Leben kleiner Peter reagierte das Publikum, als Jörg Pilawa nach (richtig) beantworteter Frage die Antwortoptionen erklären wollte. Dabei machte er eine Geste mit seinen Händen, mit denen er die Entfernung darstellen wollte, was im Publikum zu Gelächter führte (siehe Mitschnitt, ab ca. 54:38). Dabei sagte er dann „20 cm“, was zu folgendem Einwurf führte:
„Das sag ich meiner Frau seit Jahren!“
Pilawa konterte dazu:
„Du sagst aber, das sind 20 cm! […]“
Da hat man ja die Passage, über die die WAZ bzw. Petra Koruhn so energisch berichteten. Nur dummerweise stammt dieser Einwurf nicht von Udo Kraft, sondern von Horst Lichter! Das kann man auch sehr gut im Mitschnitt der Sendung (ab 54:58) sehen und hören, denn auch wenn die Aussage „aus dem Off“ stammte, erkennt man schon deutlich, dass es Horst Lichter war – der auch direkt danach grinsend (mit seiner Frau) gezeigt wird.
Hätte man der Sendung etwas besser zugehört, dann wäre ein Großteil der Aufregung nicht gegeben, man hätte sich nicht darüber aufregen können und wahrscheinlich auch nicht die Umfrage auf DerWesten zum Thema gestartet. Um Petra Koruhn mal sinngemäß zu zitieren:
Es ist eine Frage des journalistischen Stils, wie man berichtet. […] Frau Koruhn und die WAZ haben sich vom Boulevard verführen lassen.
Aber vielleicht fällt ja die notwendige Recherche (die in diesem Fall halt nur aus dem richtigen Zuschauen und Zuhören bestand) auch unter den Warnstreik des DJV-NRW. Nur dann sollte man solche Artikel lieber ganz sein lassen…
[…] Medien: “Hannelore Kraft und das Spermium†– Fremdschämen mit der (über die?) Westdeutsche Allgemeine Zeitung…Pottblog […]
Ich weiß schon, warum ich die WAZ nicht abonniert habe… „Früher war ja alles besser“ – im Falle der WAZ trifft das (leider) zu!
Ich möchte nicht die einschlägigen Blogs lesen, wenn anstatt von Frau Kraft, es jemand aus der Opposition gewesen wäre. Aber da SPD Frau, wird nun die WAZ verteufelt.
Arme WAZ, was ist nur aus dir geworden? Häme und Parteijournalismus verschrecken die letzten Leser, seit ein Selbstdarsteller und CDU-Freund die ehemals entschieden soziale Zeitung rücksichtslos und dumm auf christdemokratischen Kurs bürstet.
Haha zur Ãœberschrift. Den Spruch kenne ich.
Zum Thema:
Man kann ja über die PR-Tour einer Minderheitsregierungschefin streiten. Ihr bzw. ihrem Mann Sachen nachzusagen, die definitiv von anderen stammten um das dann als Titel- & Tagesthema zu bringen ist meiner Meinung nach unlauter, unmoralisch und unverschämt!
Wenn jemand kritisiert gehört, dann die Waz!
@chris (2):
Alleine schon vom Aspekt her, dass ich früher gerne die WAZ Olfen gelesen habe, kann ich Dir nur zustimmen. :)
@allemachtdendrähten (3):
Wenn jemand von der CDU, FDP oder Linkspartei (bzw. Angehörige von diesen Personen) entsprechend sinnentstellend von der WAZ zitiert würden, ja dann würde es hier genau so stehen.
[…] Sollte Ulrich Reitz von der WAZ dabei sein, könnte sie ihm ja mitteilen, was sie von der falschen Berichterstattung der WAZ über ihren Ehemann Udo Kraft hält (falls das nicht sowieso schon geschehen […]
[…] nicht, dass sich da politisch viel ändern wird, denn das geht gar nicht unbedingt. Für weiteres Fremdschäm-Potential bei der WAZ ist also sicherlich gesorgt, wenn man der kessen Schlagzeile über die Ministerpräsidentin und ihren Mann wegen mal […]
[…] nur noch eine gerne hervor geholte urbane Legende ist. Wer das anzweifelt soll mal den Artikel Hannelore Kraft und das Spermium: Fremdschämen mit der (über die?) Westdeutsche Allgemeine… […]