Ruhrparlament wählte Spitze neu (Karola Geiß-Netthöfel (SPD) als Nachfolgerin von Heinz-Dieter Klink) – und der rot-grüne Haussegen hängt schief in der Metropole Ruhr
Wer behauptet die Politik im Ruhrgebiet sei langweilig – der konnte heute in Essen das Gegenteil erleben ((siehe auch den Artikel der Ruhrbarone)):
Auf der Tagesordnung des Ruhrparlaments, der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr (RVR), stand heute unter anderem die Neuwahl der Verbandsspitze. Was eigentlich eine harmonische Sitzung (zumindestens von Seiten der rot-grünen Koalition her) hätte werden können, entwickelte sich dann aber doch eher etwas disharmonisch:
Karola Geiß-Netthöfel (SPD), die neue RVR-Regionaldirektorin
In das Amt der Regionaldirektorin, welches ((als Regionaldirektor)) seit 2005 von Heinz-Dieter Klink (SPD) ausgeübt wurde, und dessen Amtszeit ein wenig verlängert werden musste, wurde Karola Geiß-Netthöfel (SPD) mit 37 Stimmen, bei 25 Ablehnungen und 4 Enthaltungen, gewählt ((siehe auch DerWesten)).
Als stellvertretende Regierungspräsidentin bei der Bezirksregierung Arnsberg hat sie sich verwaltungstechnisch ausgezeichnet und außerdem auch den Ruf erworben sehr loyal zu sein:
So unterstützte sie als Stellvertreterin des ehemaligen Regierungspräsidenten Helmut Diegel (CDU) den harten Sparkurs gegenüber Städten wie Bochum und Dortmund, die in dieser Form selbst bei Parteifreunden des Regierungspräsidenten unter der Hand oftmals als übertrieben bezeichnet wurde.
Als sich die Ruhrparlaments-Fraktionen von SPD und Grünen für die Sozialdemokratin aus Lünen entschieden, machte sie sich erst einmal rar – schließlich war sie noch nicht gewählt und wollte ihrem neuen Amt nicht vorgreifen und auch nicht die Geschicke des noch amtierenden Regionaldirektors beeinflussen. Der Fraktion der Grünen im Ruhrparlament wäre es wohl auch lieb gewesen, wenn sie es dabei belassen hätte…
Es kommt ja auch eher selten vor, dass ein Koalitionspartner eine gemeinsam getroffene personelle Entscheidung mehr oder weniger direkt mit einer Pressemitteilung(!) und in der Haushaltsrede(!!) der Fraktionssprecherin Sabine von der Beck kritisiert. Hintergrund ist das kürzlich durchgeführte Interview von Geiß-Netthöfel mit der WAZ/DerWesten. In diesem erklärte sie beispielsweise, dass eine Ruhrstadt nicht benötigt wird und dass auch eine Direktwahl der RVR-Spitze derzeit nicht angebracht sei. Die Grünen reagierten dazu wie folgt:
[…] Allerdings haben die Grünen ihre Aussagen über die zukünftige Rolle des Verbandes und zur Direktwahl mehr als verwundert. „Die Äußerung der neuen Regionaldirektorin, eine Direktwahl für das Ruhrgebietsparlament sei unnötig, schreiben wir dem Umstand zu, dass sie noch neu in den Gremien des Verbandes ist. Wir halten Frau Geiß-Netthöfel aber für so klug und lernfähig, dass sie – wenn sie die ersten Erfahrungen im indirekt gewählten Ruhrparlament hinter sich gebracht hat, ihre Auffassung revidiert.“
Das Thema Direktwahl war dann auch Gegenstand der Haushaltsreden. Fraktionssprecherin Sabine von der Beck machte deutlich, dass die bisherige Struktur im Ruhrgebietsparlament, das überwiegend von Ratsvertretern einzelner Städten in das Ruhrgebietsparlament besteht, die Ursache der allseits beklagten, langwierigen, und mit vielen Rückkoppelungen bis zur Blockade führenden Entscheidungsprozesse im RVR ist. Sie verwies beispielhaft auf die langwierigen Beratungen zur Nachfolge der Kulturhauptstadt, die bei einem eigentlichen Konsensthema bereits vor vier Jahren gestartet wurden, und immer noch nicht abgeschlossen sind, sondern nur mit Außeneinfluss, nämlich Millionenangeboten von der Landesseite, überhaupt zustande zu kommen scheinen. „Wenn Sie so einen Prozess erstmal durchlitten hat, wird Frau Geiß-Netthöfel wohl so schlau sein, um mit uns dafür zu kämpfen, dass hier Politiker sitzen, die sich im Wahlkampf bei der Bevölkerung ihren Auftrag extra für ihre Ruhrgebietspositionen geholt haben und die dann in der Lage sind, sofort zu entscheiden“, meinte die Fraktionsvorsitzende. […]
Ein Mißtrauensvotum ist das noch nicht – aber schon ein Zeichen einer gewissen Disharmonie in der rot-grünen Verbandsmehrheit, wobei die Grenzen hier nicht unbedingt zwischen den Parteien, sondern eher zwischen den Befürwortern eines noch stärker geeinten Ruhrgebietes und denen, die das nicht wünschen, verlaufen.
Martin Tönnes, der neue RVR-Planungsdezernent
Das Ruhrparlament hatte noch eine weitere neue Person in die Verbandsspitze zu wählen – und zwar den Planungsdezernenten und Stellvertreter der Regionaldirektorin.
Hier kandidierte Martin Tönnes, der bisher zusammen mit Sabine von der Beck Fraktionssprecher der Grünen-Fraktion im RVR war (siehe auch das Video-Interview mit Sabine von der Beck und Martin Tönnes). Während für Geiß-Netthöfel die rot-grüne Mehrheit von 37 Stimmen noch wie eine Eins zusammenstand, gab es für Tönnes nur 34 Stimmen. Wäre die CDU-Fraktion im RVR vollständig vertreten gewesen, wäre Tönnes nicht im ersten Wahlgang gewählt worden.
A52-Ausbau in Essen oder: Stuttgart 21-Verhältnisse im Ruhrgebiet?
Auf Antrag der CDU-Fraktion wurde über eine Resolution zum Ausbau der A52 abgestimmt. Die Resolution lautete dabei wie folgt:
Resolution: A 52 unverzichtbar
Die A 52 ist ein regional bedeutsames Verkehrsprojekt für die Metropole Ruhr.
Sie schafft eine wichtige Nord-Süd-Verbindung, in der Mitte der Metropole Ruhr durch Lückenschluss, und ist Teil einer Gesamtlösung im Verbund mit Maßnahmen und Beschlüssen zu den Bundesautobahnen A 40 und A 44, die im breiten politischen Konsens beschlossen ist. Daher erwartet die Verbandsversammlung des RVR die Fortsetzung der Planungen und den zügigen Beginn der Planfeststellungsverfahren als Voraussetzung für Realisierung und Finanzierung.
Bei dieser Resolution enthielten sich zahlreiche Abgeordnete der SPD, während Reinhard Paß (SPD), der Essener Oberbürgermeister, mit der CDU – und gegen die Position der Essener SPD – stimmte.
Darüber zeigten sich die Grünen im RVR nicht gerade erfreut und konnten gleich zum zweiten Mal am heutigen Tage eine Pressemitteilung veröffentlichen, in der handelnde Personen des eigenen Koalitionspartners kritisiert werden. Der Text der Pressemitteilung wird hier aus dokumentarischen Gründen vollständig abgedruckt (die Hervorhebungen stammen vom Pottblog):
Gegen die Stimmen von Grünen, Linken und Teilen der SPD hat die RVR-Verbandsversammlung heute einer von der CDU beantragten Resolution zum Bau der A52 mehrheitlich zugestimmt. In dieser wird dem Straßenprojekt ein pauschaler Freibrief erteilt, der die zahlreichen Bedenken von Kommunalpolitikern und Bürgern aus den Anrainerstädten komplett ausblendet.
Zuvor hatte für die Grünen der Essener Ratsherr Christoph Kerscht beantragt, von einer Beschlussfassung am heutigen Tage abzusehen, weil sich der Resolutionstext mit den kritischen Fragen vor Ort in keiner Weise auseinandersetzt. Und das, obwohl zunehmend mehr Bürgerinnen und Bürger gegen das Bauprojekt protestieren. Ein Vorschlag der Grünen, zunächst über den Inhalt einer möglichen gemeinsamen Resolution im Fachausschuss zu beraten, wurde erst gar nicht abgestimmt.
Für Fraktionssprecherin Sabine von der Beck ist diese Vorgehensweise vor allem dem Essener Oberbürgermeister Paß zu verdanken: „Während die Essener SPD im Begriff ist, ihre bisherige Haltung pro A52 zu überdenken, will der OB Fakten schaffen. Offenbar geht es ihm in erster Linie um die Disziplinierung der eigenen „abtrünnigen“ Parteifreunde. Die Brüskierung des grünen Koalitionspartners wird dabei als Kollateralschaden billigend in Kauf genommen.“
Die Bereitschaft, aus Fehlern bei anderen Großprojekten wie Stuttgart 21 zu lernen, sei offenbar bei Einigen nur schwach ausgeprägt. „Wir sind überzeugt, dass sich der Bau einer neuen Autobahntrasse quer durch dicht besiedeltes Gebiet in der Stadt Essen nicht gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung durchsetzen lassen wird“, so von der Beck.
Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall…
Es ist schon eher merkwürdig, wenn ein Koalitionspartner den anderen kritisiert – wenn das aber gleich mehrfach passiert, dann wird das ganze erst recht obskur und spricht nicht gerade für ein gutes Klima innerhalb der rot-grünen Koalition. A propos Klima: Gemeinsame Entscheidungen wie beispielsweise über das umstrittene Kraftwerksprojekt Datteln IV werden sicherlich durch die aufgetretenen Dissonanzen nicht einfacher zu fällen sein.
[…] Die Grünen und die Linkspartei waren natürlich dagegen. Zwischen den Grünen und der SPD, die im Ruhrparlament eine Koalition bilden, ist die Stimmung nun nicht so gut. […]