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Jens Matheuszik — 18. Januar 2011, 18:45 Uhr

NRW: Weniger Schaum vor dem Mund und mehr Realismus – zum angeblich gestoppten Nachtragshaushalt 2010 und zu angeblichen Neuwahlen


Ja, es ist richtig – der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof hat den Nachtragshaushalt per einstweiliger Anordnung untersagt.

Natürlich gefällt die Entscheidung des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofes (VGH NRW) der rot-grünen Landesregierung nicht wirklich – aber diese Entscheidung ist ausdrücklich nicht als Vorentscheidung in der Hauptsache zu sehen. Dennoch überschlagen sich einige Medien und auch Personen über diese Entscheidung. Das ist jedoch der Sache nicht wirklich dienlich und es würde helfen, wenn man etwas weniger Schaum vor dem Mund hätte und sich einfach mal die Fakten anschaut.

Klar, liest man nur die Pressemitteilung des VGH NRW, dann sieht es so aus, als ob – vorerst – Rot-Grün vor dem Verfassungsgerichtshof gescheitert sei und die Antragsteller (die Landtagsabgeordneten von CDU und FDP) Erfolg gehabt hätten. Doch ganz so ist das nicht:

Selbstverständlich bedeutet eine Einstweilige Verfügung nicht, dass der Nachtragshaushalt verfassungswidrig ist.

Schaut man sich den Eilbeschluss des VGH NRW etwas genauer an, dann stellt man beispielsweise fest, dass da doch was anderes drin steht, als jetzt zum Teil berichtet wird.

CDU und FDP – bewusste Verschleierung oder Sachunkenntnis?

So will beispielsweise Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), in seiner Funktion als Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen CDU, dass die Landesregierung sofort einen neuen Haushalt vorlegt. Schauen wir uns doch mal die Pressemitteilung auf cdu-nrw.de dazu an:

„Die Entscheidung des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs, der durch eine einstweilige Anordnung den Vollzug des Nachtragshaushaltsgesetzes 2010 untersagt hat, ist ein einmaliger Vorgang in der Rechtsgeschichte unseres Landes“, so der Landesvorsitzende der CDU Nordrhein-Westfalen Dr. Norbert Röttgen.

Stimmt. In der Vergangenheit hat nämlich meines Wissens keine Partei beim Verfassungsgerichtshof eine einstweilige Anordnung beantragt. In der Sache selbst hat jedoch auch die CDU NRW Erfahrungen mit dem Haushalt und der Verfassungsmäßigkeit, denn die vorherige CDU/FDP-Landesregierung hat hier auch ihre Schlappen erlitten. Nur hat die damalige Opposition (SPD und Grüne) das Instrument der einstweiligen Anordnung nicht genutzt bzw. entsprechend beantragt. Sollten irgendwann wieder CDU und FDP in NRW regieren, werden die dann die Opposition stellenden Parteien SPD und Grüne sich darüber freuen, dass man ihnen den Weg zu einem neuen Kampfinstrument gegeben hat.

„Mit seiner Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof der rot-grünen Landesregierung die Quittung für eine unverantwortliche Haushaltspolitik ausgestellt, die von parteitaktischem Interesse und Maßlosigkeit geprägt ist. Seit ihrer Regierungsübernahme hat Frau Kraft nicht vorhandenes Geld mit vollen Händen verteilt. Mit einer wahren Verschuldungsorgie hat sie sich an unseren Kindern und Enkelkindern versündigt, die die Schuldenberge mit Zins und Zinseszins abtragen müssen. Dieser Politik haben die Verfassungsrichter heute in einem einmaligen Vorgang die Grenzen aufgezeigt.“

Herr Röttgen weiß wohl nicht, dass der Nachtragshaushalt 2010 dazu dient, die finanziellen Lücken des vergangenen Haushaltsjahres zu beheben. Hätte die bisherige CDU/FDP-Landesregierung hier bei der Haushaltsaufstellung sorgsamer gearbeitet, dann wäre der Nachtragshaushalt nicht notwendig.
Im übrigen sind im Nachtragshaushalt auch die finanziellen Mittel, die die nordrhein-westfälische Landesregierung zu tragen hat, da sie vom Verfassungsgerichtshof entsprechend dazu verurteilt wurde – denn beispielsweise bei der Finanzierung Kinderbetreuung wurde die damalige Entscheidung der CDU/FDP-Landesregierung vom VGH NRW einkassiert. Insofern hat hier die neue Landesregierung nur die Fehler der Vorgängerregierung auszubügeln.

„Das Land kann sich jetzt keine monatelange Hängepartie leisten. Die rot-grüne Landesregierung ist nun aufgefordert, unverzüglich einen neuen Nachtragshaushalt und einen verfassungskonformen Haushalt für 2011 vorzulegen. Sie verspielt sonst die Wachstumschancen für unser Land. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der schwierigen Lage der WestLB brauchen wir in Nordrhein-Westfalen eine solide Haushaltspolitik. In der Finanzmarktkrise haben wir die Erfahrung gemacht, dass hoch verschuldete Staaten nicht in der Lage sind, ihre Bevölkerung in schlechten Zeiten wirksam zu schützen.“

Mit Respekt vor dem VGH NRW hat es jetzt aber nicht wirklich zu tun, wenn man jetzt – bevor endgültig in der Sache entschieden wurde – einen neuen Nachtragshaushalt fordert.

Auch bei der nordrhein-westfälischen FDP gibt es eine Stellungsnahme. Daniel Bahr, der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, und Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen FDP hat eine Pressemitteilung auf fdp-nrw.de veröffentlicht:

Das Verfassungsgericht von Nordrhein-Westfalen hat am Dienstag den rot-grünen Nachtragshaushalt für 2010 gestoppt.

Nein, nur einstweilig.

CDU und FDP hatten vor der Weihnachtspause einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung gegen den Etat der rot-grünen Minderheitsregierung gestellt. Der Landesvorsitzende der FDP NRW, Daniel Bahr, begrüßt das Urteil und erwartet nun „einen klaren Kurswechsel“ von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).

Eine einstweilige Anordnung ist kein Urteil in der Sache.

„Verfassungsgericht stoppt Haushalt in NRW“, Spiegel.de, 18.01.2011

Der Landesverfassungsgerichtshof in Münster hat den Nachtragshaushalt 2010 vorerst gestoppt.

Der letzte Satz – der stimmt jetzt. Man muss ja auch mal loben… :)

Die rot-grüne Landesregierung darf somit keine weiteren Kredite für diesen Etat aufnehmen. CDU und FDP hatten gegen den Haushalt Klage eingelegt. Ihrer Ansicht nach verstößt die darin vorgesehene Rekordverschuldung von 8,4 Milliarden Euro gegen die Verfassung.

Der Landesvorsitzende der FDP NRW, Daniel Bahr, begrüßt das Urteil. Das Landesverfassungsgericht habe „die massive Verschuldungspolitik“ der rot-grünen Regierung untersagt. „Das ist gut für Nordrhein-Westfalen.“ Er erwarte nun einen klaren Kurswechsel von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

Gegenüber der in Bielefeld erscheinenden Tageszeitung „Neue Westfälische“ sagte Bahr: „Die FDP hat keine Angst vor Neuwahlen.“ „Aber die Regierung ist gescheitert, nicht das Parlament“, so Bahr. „Die Ministerpräsidentin muss sich erklären.“ Die „verantwortungslose Verschuldung“ sei gestoppt, „das ist gut für Nordrhein-Westfalen“, sagte Bahr. Rot-Grün sei mit ihrer Strategie des sich abhängig-Machens von der Linken am Ende.

Den Unterschied zwischen einem Urteil und einer einstweiligen Anordnung sollte man eigentlich als Landesvorsitzender und Staatssekretär schon kennen…

Einstweilige Anordnung des VGH NRW

Weder CDU noch FDP gehen auf einige interessante Punkte des VGH-Eilbeschlusses ein. Dort steht beispielsweise zum eigentlichen Beschluss:

Der Landesregierung wird im Wege einer einstweiligen Anordnung aufgegeben, bis zu einer Entscheidung im Normenkontrollverfahren VerfGH 20/10 von einem Abschluss der Bücher im Sinne des § 76 Abs. 1 LHO NRW abzusehen und bis dahin keine weiteren Kredite auf der Basis des Nachtragshaushaltsgesetzes 2010 aufzunehmen.
Für den Fall, dass die Landesregierung bis zu einer Entscheidung im Verfahren VerfGH 20/10 Zahlungen bezogen auf das Haushaltsjahr 2010 zu leisten hat, hierfür liquide Mittel aber nicht mehr zur Verfügung stehen, sind entsprechende Mittel ausschließlich durch Rückführung aus den auf der Basis des Nachtragshaushaltsgesetzes 2010 gebildeten Rücklagen und Sondervermögen zu beziehen.
Im Ãœbrigen wird der Antrag abgelehnt.

Das bedeutet schlicht und ergreifend, dass CDU und FDP nur in diesem einen (sicherlich nicht unwichtigen!) Punkt recht bekommen haben. Weitergehende Forderungen, wonach der VGH den Gesetzesvollzug des Haushaltsgesetzes vollständig aussetzen soll und dass bereits getroffene Entscheidungen zurückabgewickelt werden sollen, wurden abgelehnt. Dazu heißt es:

Um diese möglicherweise schwerwiegenden Folgen bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu verhindern, bedarf es allerdings weder der beantragten vollständigen Aussetzung des Gesetzesvollzugs noch der Rückgängigmachung aller bereits vollzogenen Bewirtschaftungsmaßnahmen. Eine derartige Entscheidung wäre insbesondere mit Blick auf etwaige gesetzliche Zahlungsverpflichtungen des Landes zu weitgehend, deren Erfüllung ohne Kreditfinanzierung aus dem Nachtragshaushaltsgesetz 2010 möglich ist.

Konsequenzen der Entscheidung

Das der VGH NRW gar nicht so gravierend entschieden hat, schreibt er selber:

Aus einer einstweilige Anordnung dieses Inhalts ergibt sich für die Landesregierung lediglich der Nachteil einer Verzögerung des vollständigen Haushaltsabschlusses um wenige Wochen. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Ladungsverfügung vom heutigen Tage Termin zur mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren auf den 15. Februar 2011 bestimmt. Er beabsichtigt, eine verbindliche Klärung der Verfassungsrechtslage innerhalb der nächsten drei Monate herbeizuführen. Bis dahin ist die Handlungsfähigkeit der Landesregierung durch den Rückgriff auf liquide Mittel sowie eine erforderlichenfalls mögliche vorläufige Rückbuchung aus nicht aktuell benötigten Rücklagen und Sondervermögen gesichert. Es besteht mithin nicht die Gefahr eines etatlosen Zustandes und damit die Gefahr eines besonders schwerwiegenden Nachteils (vgl. BVerfGE 66, 26, 38). Dem von der Landesregierung geltend gemachten Nachteil eines durch die Verzögerung beim Kassenabschluss kurzfristig erhöhten Verwaltungsaufwands kommt gegenüber dem Risiko des endgültigen Vollzugs eines möglicherweise verfassungswidrigen Haushalts ein annähernd gleiches Gewicht nicht zu.

Es geht also – vor allem weil der VGH NRW innerhalb von drei Monaten endgültig entscheiden will – momentan nur um einige Verzögerungen und möglicherweise erhöhten Verwaltungsaufwand. So hat beispielsweise Hannelore Kraft, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin, gerade im WDR 5-Westblick erklärt, dass beispielsweise die Personalmaßnahmen (neue Stellen für Steuerprüfer beispielsweise) von der Entscheidung nicht betroffen sind.

Stehen jetzt Neuwahlen an?

Im Beitrag Die Zeit der Arroganz ist vorbei: Verfassungsgericht stoppt Rot-Grün fabuliert man jetzt schon von Neuwahlen. Sehr merkwürdig, denn weder wurde in der Hauptsache bereits entschieden, noch gibt es einen Automatismus, dass – wenn der VGH NRW den Nachtragshaushalt 2010 endgültig ablehnt – es dann zu Neuwahlen kommt. Für Neuwahlen bräuchte man eine Mehrheit im Landtag und es ist doch eher fraglich, ob die Oppositionsfraktionen CDU, FDP und Linkspartei Neuwahlen wünschen. Nicht umsonst dienen sich gerade CDU als auch FDP bei der Landesregierung an und wollen sie bzw. Teile davon parlamentarisch unterstützen, denn derzeit fürchten gerade diese beiden Parteien Neuwahlen wie der Teufel das Weihwasser.

Im übrigen ist der Verweis auf das SPIEGEL-Interview der stellvertretenden Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann (Grüne) in Bezug auf Neuwahlen auch insofern falsch, als dass sie damit den Haushalt 2011 meinte – und nicht den Nachtragshaushalt 2010. Das ganze wird auch im Beitrag NRW: Grünen-Fraktionschef Priggen sieht keinen Grund für Neuwahlen deutlich.

Wie geht es jetzt weiter?

Erst einmal wird jetzt Mitte Februar 2010 eine mündliche Anhörung in der Hauptsache stattfinden. Dann wird innerhalb von drei Monaten eine endgültige Entscheidung getroffen. Egal wie diese ausfällt – einen Automatismus für Neuwahlen gibt es dadurch nicht. Selbst wenn SPD und Grüne dann Neuwahlen anstreben wollten (weil beispielsweise die demoskopische Lage gut für die beiden Regierungsparteien aussieht) – das ist nur möglich, wenn die Opposition zumindestens teilweise zustimmt. Ob jedoch gerade die Oppositionsparteien, die in der öffentlichen Meinung gegenüber dem Wahlergebnis vom Mai 2010 noch eher verloren haben, das wirklich wollen, halte ich für sehr fragwürdig.

Also: Erstmal abwarten und Tee trinken!


3 Kommentare »

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  1. (1) Kommentar von Michelle @ 21. Januar 2011, 00:46 Uhr

    Was da in NRW passiert, lässt sich eigentlich nur schwer nachvollziehen. Das bevölkerungsreichste Bundesland in Deutschland wird von einer Minderheitenregierung regiert, die nicht beschlussfähig ist ohne die Unterstützung der in der Öffentlichkeit so verhassten Linken. Da passt doch irgendwas nicht zusammen. Wie wäre es, sich von den Sitzen zu erheben und Neuwahlen anzustreben?


  2. (2) Kommentar von Jens @ 27. Januar 2011, 07:01 Uhr

    @Michelle (1):
    Wieso ist die Landesregierung nicht beschlussfähig? Sie hat im Parlament fast immer bisher Mehrheiten bekommen.

    Und wer will denn wirklich Neuwahlen?


  3. (3) Pingback von NRW-Verfassungsgericht lehnt Nachtragshaushalt 2010 ab » Pottblog @ 15. März 2011, 13:12 Uhr

    […] Bochum gewinnt vor dem Verfassungsgerichtshof gegen das Land NRWNRW: Weniger Schaum vor dem Mund und mehr Realismus – zum angeblich gestoppten Nachtragshausha…Verfassungsgerichtshof in Münster untersagt Nachtragshaushalt in NRW per einstweiliger […]


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