In NRW wollen die SPD- und die Grünen-Fraktion dem umstrittenen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) jetzt doch noch zustimmen!
Am morgigen Dienstag entscheiden die Parlamentsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die gemeinsam die Minderheitsregierung (ohne eigene parlamentarische Mehrheit) von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) im Düsseldorfer Landtag stützen, über die Positionierung zum umstrittenen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV).
Auch wenn die Entscheidung noch nicht getroffen wurde – denn dafür sind formal die kompletten Abgeordneten in den Fraktionen zuständig – wollen die maßgeblich handelnden Personen der beiden Fraktionen (für die SPD: Norbert Römer, Britta Altenkamp, Prof. Dr. Rainer Bovermann und Alexander Vogt; für die Grünen: Reiner Priggen, Sigrid Beer und Matthi Bolte) wohl dem JMStV zustimmen. Jedenfalls zeichnen sich diese Personen jeweils für ihre Fraktion für eine überarbeitete Fassung des Ende November bekannt gewordenen Entwurfes für einen Entschließungsantrag zum JMStV verantwortlich, der dem Pottblog vorliegt:

Nachfolgend dokumentiere ich der Vollständigkeit halber den Entwurf des geplanten Entschließungsantrages der Fraktionen von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) – durch Fettdruck hervorgehoben ist die entscheidende Veränderung bzw. Ergänzung zum vorherigen Entwurf im Passus III.d:
Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und
der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen
zum „Vierzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Vierzehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) (Drs. 15/17)“
Wahrung der Netzfreiheit und effektiven Jugendmedienschutz gewährleisten – für eine zügige Revision des Jugendmedienschutz- Staatsvertrags
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Ausgangslage
Für die abgewählte Landesregierung hat der Ministerpräsident den 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrag am 10. Juni 2010 unterzeichnet. Die Schlussverhandlungen fielen somit in die Phase des Regierungswechsels und der Neukonstituierung des Landtags. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits alle Entscheidungen zur Ausgestaltung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags (JMStV) durch die am 9. Mai abgewählte CDU-FDP-Landesregierung getroffen worden.
Der Jugendmedienschutzstaatsvertrag wurde in der Fachwelt kontrovers diskutiert. Neben Befürwortern, die den Novellierungsentwurf begrüßen, gibt es eine Reihe von Kritikerinnen und Kritikern. Die Folgen des novellierten JMStV für die Anbieterinnen und Anbieter netzkultureller Güter werden durch die Kritiker als nicht absehbar, sein jugendschutzpolitischer Effekt als zweifelhaft betrachtet. Zugleich wird konstatiert, dass der Jugendschutz in Deutschland, im Vergleich zu anderen Ländern, bereits sehr weit entwickelt ist.
In der Diskussion im Rahmen der Anhörung am 4. November 2010 wurde deutlich, dass nicht alle Vorbehalte gegen den vorliegenden Entwurf ausgeräumt werden konnten. Hierzu gehören, dass die zu entwickelnde Filtersoftware noch nicht vorliegt und die Evaluation erst nach drei Jahren eine Überprüfung möglich macht. Weiterhin wird von einigen Kritikerinnen und Kritikern befürchtet, dass es bei der Alterskennzeichnung der Seiteninhalte zu Problemen kommen kann, wodurch sich Anbieter in der Gestaltung ihrer Angebote einschränken könnten. Ebenso besteht laut einigen Kritikerinnen und Kritikern die Gefahr vermehrter und möglicherweise missbräuchlicher Abmahnungen.
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Der Landtag stellt fest
Der Landtag wird intensiv beobachten, ob sich die Bedenken der Kritikerinnen und Kritiker zum JMStV bestätigen. Sollte der JMStV zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Netzkultur führen, wird der Landtag schnellstmöglich Gegenmaßnahmen einleiten und die Landesregierung beauftragen, sich bei den anderen Ländern für eine zügige Novellierung des JMStV einsetzen.
Die Netzkultur ist ein integraler Bestandteil der Lebenswelt insbesondere von Kindern und Jugendlichen geworden. Durch das Internet sind kreative Räume entstanden, die auch im realen Leben positive gesellschaftliche, soziale und ökonomische Wirkung entfalten. Diese freiheitliche Kultur zu erhalten, zu fördern und auszubauen, bleibt ein zentrales netzpolitisches Ziel des Landtags.
Kinder- und Jugendmedienschutz sind nach Auffassung des Landtags keine Herausforderungen, die allein durch den Einsatz technischer Mittel bewerkstelligt werden können. Vielmehr ist eine deutliche Verstärkung der Medienkompetenz sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei ihren Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrern, dringend geboten. Der Landtag begrüßt das Vorhaben der Landesregierung, die Vermittlung von Medienkompetenz in allen Lebensbereichen zu verankern, sowie die entsprechenden Medienkompetenz- Aktivitäten, die bereits seit Jahren von der Landesanstalt für Medien durchgeführt werden.
Die Einbeziehung netzpolitischen Sachverstands bei Beschlüssen und Gesetzgebungsvorhaben, die das Internet betreffen, erscheint für die Zukunft unerlässlich. Der Dialog mit der Netzgemeinde muss ausgebaut werden. Der Landtag wird hierzu geeignete Wege entwickeln müssen und offen für Innovation sein.
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Der Landtag beschließt
Die Landesregierung wird aufgefordert, zusätzlich zur Evaluation nach drei Jahren eine regelmäßige Berichterstattung im Abstand von sechs Monaten in öffentlicher Sitzung des Haupt- und Medienausschusses abzugeben.
- Schwerpunkte der Evaluierung sind:
- eine fundierte Analyse der Gefährdungspotenziale für Kinder und Jugendliche auf deutschen Internetseiten;
- eine Analyse der Alterseinstufungen von Internetseiten gem. § 5 JMStV mit den Schwerpunkten Aufwand und Rechtssicherheit für Anbieter, Overblocking-Effekte nebst möglicher Einschränkungen der Netzkultur durch diese, Underblocking-Effekte und ihre jugendschutzpolitischen Konsequenzen;
- Entwicklungsstand der eingeforderten Filtersoftware der Jugendschutzprogramme;
- Tatsächlich vorgenommene Alternskennzeichnungen auf Seiten von Websitebetreibern und Anzahl der Klassifizierungen für die unterschiedlichen Altersgruppen;
- Erfahrungen mit dem Einstufungssystem der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. (FSM) und kam es zu Problemen bei der Durchführung durch die Anbieter;
- Erfahrungen der Zugangsbeschränkungsmöglichkeiten, hier insbesondere der Zugangsregulierung über Sendezeiten;
- Auswirkungen der Zugangsregulierung des JMStV auf die Internetwirtschaft und
- Information und Bericht über bekanntgewordene Abmahnungen falsch klassifizierter Seiten und Konsequenzen daraus
- Die Landesregierung wird aufgefordert, innerhalb eines Jahres Möglichkeiten zu prüfen und im Haupt- und Medienausschuss vorzustellen, in wieweit Crowdsourcing-Modelle (also die Einbeziehung der Intelligenz der Masse der Nutzerinnen und Nutzer) mit Jugendschutzprogrammen kombiniert werden können.
- Die Landesregierung wird mit der Einrichtung von Strukturen beauftragt, die eine Einbeziehung der Netzgemeinde in netzpolitisch bedeutsame Gesetzgebungsvorhaben gewährleistet. Diese können beispielsweise in der Implementierung von Möglichkeiten der Online-Konsultation auf Basis des Dialogs „Perspektiven deutscher Netzpolitik“ des Bundesinnenministeriums oder der Bildung eines netzpolitischen Beirats bestehen. Ziel ist der Dialog mit Netzaktivistinnen und Netzaktivisten über die Ausgestaltung des Prozesses der Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen.
- Sollte sich herausstellen, dass nach einem Jahr die von Kritikern befürchteten negativen Folgen der Novellierung des JMStV (Abmahnwellen, Nicht-Vorliegen von zertifizierter Filtersoftware, erhebliche Einschränkung kultureller Inhalte im Netz) eingetreten sind, so wird die Landesregierung beauftragt, Verhandlungen mit den anderen Bundesländern über eine erneute Novellierung des JMStV aufzunehmen.
- Schwerpunkte der Evaluierung sind:
Änderung zum vorherigen Entwurf:
Der neue Entwurf des JMStV-NRW-Entschliessungsantrages ist im Grunde genommen de facto der alte. Einige redaktionelle Änderungen und Ergänzungen wurden vorgenommen, der einzige Passus der neu ist, ist der Punkt III d., mit dem man wohl die Kritiker noch weiter besänftigen möchte. Nach dem Motto: Wenn der JMStV wirklich so schlecht ist, dann soll man nach einem Jahr nochmal drüber schauen und das ganze erneut novellieren.
Bewertung:
Mit diesem neuen Entwurf des Entschließungsantrages ist klar – die beiden Fraktionen von SPD und Grünen bereiten die Zustimmung des nordrhein-westfälischen Landtages zum JMStV vor.
Die Verhandlungsführer von SPD und Grünen ignorieren mit dem neuen Passus jedoch, dass nur jetzt das nordrhein-westfälische Parlament die Möglichkeit hat den umstrittenen JMStV zu verhindern. Sollte der Entwurf Gesetzeskraft erlangen, kann die nordrhein-westfälische Minderheitsregierung sich auf ihre Hinterbeine stellen – wenn nicht alle 15 anderen Bundesländer auch dafür sind, wird es keine Novellierung geben!
Das bedeutet, nur jetzt hat das Parlament es in der Hand einen vielfach kritisierten Staatsvertrag zu kippen, um dann im direkten Anschluss daran neue Verhandlungen aufzunehmen um dort dann die – auch in den Fraktionen von SPD und Grünen so gesehenen – Kritikpunkte zu entschärfen. Der Entschließungsantrag hingegen bringt nichts und ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt wird.
Dahingehend kann man übrigens den Fraktionen von SPD und Grünen – falls das ganze so beschlossen wird – auch eine enorme Verschwendung von Steuermitteln vorwerfen, denn anscheinend war die Anhörung Anfang November wirklich eine Farce!
So wurde das ganze ja auch schon auch in der ursprünglichen Landtagsdebatte durch die Opposition gesehen – die scheinbar recht behalten hat, denn das ganze war wohl wirklich nur eine Alibi-Veranstaltung.
Ist der JMStV dadurch beschlossene Sache für NRW?
Ausdrücklich nein!
Die oben zitierten Personen haben zwar wichtige Ämter (Fraktionsvorsitz, parlamentarische Geschäftsführung usw.) – aber entscheiden werden erst am morgigen Dienstag die Fraktionen von SPD und Grünen. Mit diesem Entschließungsantrag gibt es natürlich eine Art Vorentscheidung, doch auch das ist noch nicht in Stein gemeißelt.
Vielleicht sollten doch all die, die den JMStV nicht wünschen, noch Kontakt mit den Abgeordneten von SPD und Grünen suchen und klar machen, was man von diesem umstrittenen Staatsvertrag hält!
Ich glaube erst daran, dass SPD und Grüne in NRW sich netzpolitisch selbst enthaupten, wenn es passiert ist – noch habe ich Hoffnung, dass beide Parteien bzw. beide Fraktionen sich vernünftig entscheiden werden. Die einzige vernünftige Entscheidung kann nur lauten: JMStV ablehnen!
Dann hoffen wir mal, dass die Damen und Herren Abgeordnete das genau so sehen. Denn bei Deinem letzten Satz bin ich 100%ig bei Dir.
Da sage ich nur eines zu:
http://www.abnehmen-aktuell.de/ankuendigungen/10644-neuer-jmstv-aufruf-wahlboykott-gegen-gruenen-spd.html
Kannst ja mal lesen und darüber berichten wenn du magst.
Die Meldung ging von der Piratenpartei heute über Twitter.
[…] Jens im Pottblog kann man die triste Wirklichkeit nachlesen. SPD und Grüne stimmen zu. In dem Entschließungsantrag […]
[…] auseinander zu setzen. Pottblog berichtet unter Berufung auf eine Drucksache des Landtages das in Nordrhein-Westfalen nun doch dem JMStV zugestimmt werde. Dabei wird durch Hervorhebung die einzige Änderung an der Vorlage aufgezeigt, die dem […]
Die einzige vernünftige Entscheidung kann nur lauten: JMStV ablehnen!
So ist es.
Ein vernünftiger Jugendschutz besteht in einer mündigen Erziehung und wer seine Kinder nicht dem entsprechend Erziehen kann wird auch keine Filtersoftware installieren !
Ich glaube schon lange nicht mehr daran das „eure“ Politiker (ich fühle mich schon lange nicht mehr von diesem Pac.. vertreten) für irgend ein Sachargument unserer Seits zugänglich sind. Das ganze hin und her ist doch nur dazu da um uns Ruhig zu stellen.
Ich befürchte aber nur das die nächste Wahl immer noch nicht ausreicht um ihnen eine Abreibung zu verpassen, denn die meisten Bildleser stehen auf solchen Aktionismus…
[…] ein oder andere mag es schon mitbekommen haben: Die rot-grüne Koalition in NRW hat ihren Entschließungsantrag zum JMStV überarbeitet. Ein Entschließungantrag ist das parlamentarisch-formelle Äquivalent zum Bauchschmerzen-Brief: […]
[…] Wie bescheuert muss man eigentlich sein? „Wir wissen ja, dass es ganz gewaltige Probleme mit dem Ding geben kann, aber bevor wir das jetzt ablehnen und so Nachbesserungen erzwingen, stimmen wir lieber zu und wenn dann die Abmahnwelle rollt, sagen wir ganz lieb Bitte-Bitte bei den anderen Bundesländern, damit da ein bisschen nachgebessert wird und die werden da sicher mitmachen und spätestens 2018 ist dann wieder alles in Ordnung, ganz sicher…“ […]
[…] 1995 (1) « In NRW wollen die SPD- und die Grünen-Fraktion dem umstrittenen Jugendmedienschutz-Staatsvertra… Pottblogger — 14. Dezember 2010, 07:43 […]
[…] in NRW? Der ein oder andere mag es schon mitbekommen haben: Die rot-grüne Koalition in NRW hat ihren Entschließungsantrag zum JMStV überarbeitet. Ein Entschließungantrag ist das parlamentarisch-formelle Äquivalent zum Bauchschmerzen-Brief: […]
[…] Bündnis 90 / Die Grünen endlich ihre gemeinsame Haltung dazu finden. Nachdem gestern ein neuer Entwurf eines gemeinsamen Entschließungsantrages zum JMStV bekannt wurde, sah es eigentlich eher nach einer Zustimmung aus, obwohl doch die Reihe der […]
[…] der Entscheidung der CDU-Landtagsfraktion passierte das wahrlich unglaubliche: Nach Wochenlangem Hin – und Her haben nun auch die Landtagsfraktionen der Grünen und der SPD beschlossen, dass sie […]
@Markus (1):
Nur beim letzten Satz? ;)
@Timo (2):
Krasses Beispiel – aber schon irgendwie verständlich.
@Jaycee (5):
Das sehe ich ähnlich.
@rebel (6):
Es sind alles unsere Politiker und es hilft nicht diese zu diffamieren.
@Jens,
du magst ja Recht haben das das unsere Politiker sind. Nur Belügen und Betrügen tun die uns nicht umgekehrt.
Wäre die Politik ein Unternehmen, wären die 1. schon lange Pleite – 2. jeder einzelne von ihnen ein Langzeitarbeitsloser und 3. wir diese Leute endlich los.
@rebel (14):
Ich sehe das nicht so fatalistisch wie Du und sehe auch andere Beweggründe. Beispielsweise beim JMStV glaube ich schon, dass die Befürworter wirklich nur das Beste im Sinn hatten (auch wenn es meiner Meinung nach falsch war/ist).
@ Jens,
mag ja schon sein das sie das „beste“ wollten. Aber wenn man die Politiker Monatelang bequatscht uns sie zum Teil unsere Argumente auch einsehen um dann bei der nächsten Möglichkeit noch mehr in die Falsche Richtung zu gehen. Soll man da nicht am nötigen verstand zweifeln?
Vieles sieht in meinen Augen nur nach Hinhaltetaktik aus und nicht mehr nach Politik um den Menschen zu helfen. Allein das geschachere um die Stimmen ist einer Demokratie unwürdig und auch Parteienzwang müsste unter Strafe gestellt werden das es mit dem Begriff Demokratie nichts mehr zu tun hat.
@rebel (16):
Tja, Du sagst ja schon – zum Teil. Es gibt ja auch noch andere Teile.
Und ich halte auch von der Kritik an den Parteien nichts, denn Einzelkämpfer haben es meiner Meinung nach noch schwerer.
[…] sitzen zu dürfen, bleibt wohl ihre Sache, ebenso, warum sie sich 2010 zwischenzeitlich für Zensur im Intenet aussprachen. Ob die Gründe dafür dieselben sind, warum die Grünen nach dem 11. September 2001 […]