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Jens Matheuszik — 31. August 2010, 11:23 Uhr

Interview mit Veith Lemmen, dem (bisher) einzigen Kandidaten für das Amt des Vorsitzenden der Jusos NRW


Am 4. und 5. September 2010 findet in Bielefeld die Landeskonferenz 2010 der nordrhein-westfälischen Jusos statt. Dort wird – hoffentlich! – nicht nur dieser Antrag gegen die Annahme der Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) angenommen, sondern auch ein neuer Vorstand gewählt.

Einziger Kandidat für die Position des Landesvorsitzenden der NRW-Jusos ist bisher Veith Lemmen, der bisher als Landeskoordinator der Juso-Hochschulgruppen NRW im Landesvorstand kooptiert war.

Nachfolgend ein Interview mit Veith Lemmen, wo ich ihn zu netzpolitischen Themen befragt habe:

Pottblog: In Deiner Kandidatur zum neuen Landesvorsitzenden der NRW-Jusos erwähnst Du als Themenfeld auch die Netzpolitik. Wie erklärst Du denn den Leuten sowohl innerhalb als auch außerhalb von Jusos und SPD, was damit gemeint ist? Ruhig mehr als 140 Zeichen.

Veith Lemmen: Netzpolitik ist ja mittlerweile fast zu einem Buzzword wie Web 2.0 geworden. Alle Parteien versuchen in dem Bereich irgendwie präsent zu sein und vieles schwebt im luftleeren Raum. Ich würde den Begriff weiter fassen wollen und nicht nur auf reine Netzpolitik reduzieren. Mittlerweile hat das Internet mit all seinen Diensten das Leben vieler Menschen vollständig durchdrungen.
Wir wollen das in Zukunft bei den NRW Jusos unter der Überschrift „Freiheitsrechte, Kultur und digitales Leben“ zusammenfassen. Darunter lassen sich dann auch Diskussionen um Softwarepatente, staatliche Überwachung, den Schutz der Privatsphäre oder Breitbandinitiativen führen. Ein Thema, dass uns in der nächsten Zeit sehr beschäftigen wird, ist die Frage der Netzneutraliät. Da sind sehr unterschiedlich handelnde Akteure mit ihren ureigenen Interessen unterwegs.
Wir dürfen das nicht auf eine Diskussion zwischen den Contentanbietern und den Providern reduzieren. Denn am Ende stehen die Fragen: Wie weit dürfen Staat und Wirtschaft ins Netz eingreifen und wie weit gefährden mögliche Eingriffe die Meinungsfreiheit und den Meinungsaustausch. Deshalb finde ich es stark, dass einige Mitglieder von SPD und SPE (Sozialdemokratische Partei Europas) mit pro-netzneutralitaet.de ganz vorn mit dabei sind. Es gibt also noch Hoffnung, dass die Sozis zukünftig eine vernünftige Netzpolitik machen.

Pottblog: Aber ist das nicht eher ein Thema für die Piratenpartei?

Veith Lemmen: Klar gibt es da bei den Piraten große Kompetenzen. Das muss man auch anerkennen, schließlich ist das ihr absolutes Hauptthema. Solche – und ich bitte das nicht abschätzig zu verstehen – Ein-Thema-Parteien entstehen natürlich, wenn die etablierten Parteien Themen verpennen oder falsch behandeln. Ich habe aber keine Lust, den Piraten diesen Bereich exklusiv zu überlassen. Wir alle bewegen uns wie selbstverständlich in den Social-Networks, nutzen Facebook für die Kommunikation innerhalb und außerhalb der Jusos. Da sollten wir uns auch selbst darum kümmern, dort die Regeln und Richtungen mitzugestalten und das nicht anderen überlassen. Wir haben schließlich auch zu spüren bekommen, was passiert, wenn die SPD diesen Bereich ausklammert oder Entscheidungen fällt, die objektiv falsch sind. Der kometenhafte Aufstieg der Piratenpartei und die Popularität, gerade bei jungen Menschen, zeigt da sehr deutlich das Versagen der etablierten Parteien. Es ist unser Job, zu helfen das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen, die mit vielen Grundwerten der SPD übereinstimmen, die aber im netzpolitischen Bereich enttäuscht worden sind.

Pottblog: Momentan wird ja stark über Google Streetview diskutiert. Was hältst Du von der Diskussion dazu und was hältst Du von Streetview selbst?

Veith Lemmen: Die Diskussion wird ja auf mehreren Ebenen und auch in sehr unterschiedlicher Qualität geführt. Ich musste schon sehr lachen, als ich in der Zeitung ein Foto mit empörten Bürgern gesehen habe, die sich als Protest gegen Street-View vor ihrem Haus haben ablichten lassen. Das hat schon sehr komische Züge an machen Stellen. In der Bundesrepublik setzt scheinbar immer reflexartig ein Protest gegen alles Neue ein. Andere Länder sind da wesentlich technologiefreundlicher, wie Schweden oder Japan. Zur Erschließung des Öffentlichen Raums kann Street-View wahrscheinlich sogar einen Beitrag leisten, darüber war bisher eher wenig zu lesen.

Selbstverständlich habe ich dennoch auch große datenschutzrechtliche Bedenken und ich verstehe, wenn viele Leute ein mulmiges Gefühl dabei haben – das ist auch eine emotional geführte Diskussion. Und zu allererst dort, wo beim automatisierten Verpixeln Fehlern passieren und dadurch unter Umständen Persönlichkeitsrechte verletzt werden, muss Google das schnellstens fixen. Dass das Thema mittlerweile angekommen ist in der Gesellschaft, und nicht nur von Nerds diskutiert wird, ist schon mal ein großer Erfolg. Dabei finde ich es vor allem auch interessant, dass neben Streetview teilweise über die Datensammelwut von Google und anderen breiter diskutiert wird. Nach dem Motto: „Ihr findet das schon scheiße? Na dann gebt euch mal das hier…“ Nebenbei ist das aber vermutlich die beste kostenlose Werbung, die Google sich vorstellen kann.

Pottblog: Würdest Du Dein Haus, Deine Wohnung oder wo auch immer Du an irgendeiner Straße in NRW wohnst bei Streetview ‚rausnehmen lassen?

Veith Lemmen: Das muss ich mal mit meinen Mitbewohnerinnen besprechen. Aber wir wohnen im Dachgeschoss, die „Street“ ist so weit unten, da droht erstmal keine Gefahr. Natürlich ist die Frage spannend für Personalchefs, die sich mal ein Bild vom Sozial-Kulturellen-Milieu von BewerberInnen machen wollen oder für die Werbeindustrie. Da werden mit Sicherheit einige Leute schon an Businessmodellen für Streetview arbeiten, die nicht jeden Abend mit dem Datenschutzgesetz auf dem Nachttisch einschlafen. Die Frist zum Widerspruch wurde von Google ja noch mal verlängert, so dass ich noch ein wenig Zeit habe. Eigentlich müsste Google ja auch den umgekehrten Weg gehen und per Double-Opt-In-Verfahren um Erlaubnis zum Abfotografieren der Häuser fragen.

Pottblog: Wieso? Wir haben in Deutschland eine Panoramafreiheit und ein Prinzip des Rechtsstaates ist es, dass Gesetze nicht nur für den Veith, den Jens oder die Hannelore gelten, sondern auch für eine Google Inc. oder nicht?

Veith Lemmen: Klar sind alle vor dem Gesetz gleich. Ich glaube einfach, dass man viele Regelungen zum Datenschutz noch einmal überdenken sollte bzw. die Sanktionierungen bei Fehlverhalten. Das betrifft natürlich vor allem den Geschäftsverkehr. Die Datenskandale bei Telekom, Bahn oder jetzt aktuell bei Schlecker führen bei mir zumindest nicht zu gedanklichen Luftsprüngen, wenn ich an die Millionen Datensätze denke, die bei den großen Unternehmen und Adresshändlern rumliegen.

Pottblog: Glaubst Du denn, dass dastelefonbuch.de alle gefragt hat, deren Adressen, Telefonnummern inklusive einem Bild des Hauses verknüpft im Netz angeboten werden? Sowas macht Streetview ja eben nicht…

Veith Lemmen:: Im Rahmen der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung vor einigen Jahren hat Heribert Prantl einen sehr wichtigen und richtigen Satz gesagt: „Die gefährliche Totalität ergibt sich aus der Summe.“ Natürlich ist eine Hauswand bei Street-View erstmal nichts Dramatisches. Wenn man aber Beispielsweise Adress- und Kontaktdaten mit anderen Dingen, wie Kaufverhalten, Sozialem Milieu, Bildungsabschluss, Beruf, Einkommen, Beziehungsstatus, Religionszugehörigkeit oder anderen privaten verknüpft, dann entsteht eine Situation, die bei mir Unbehagen auslöst. Immerhin ist der Schutz der Privatsphäre im Grundgesetzt verbrieft. Da müssen wir das Bewusstsein für Privates schärfen, gerade bei jungen Leuten, die allzu oft sehr lässig und gutgläubig mit ihren persönlichen Daten umgehen.

Pottblog: In großen Teilen ist Netzpolitik eigentlich keine Landesangelegenheit, da hier der Bund entscheidend ist. Zum Landesthema wird es aber in Teilbereichen wie z.B. dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Der Vorstand der Jusos hat zur schon zur vorletzten Landeskonferenz einen Antrag eingebracht, in dem gefordert wird den JMStV abzulehnen. Warum macht ihr das? Ist Jugendschutz etwa kein Thema für eine Jugendorganisation?

Veith Lemmen: Klar ist das auch ein Thema für die Jusos. Aber es geht hier doch um weit mehr als Jugendschutz. Die Novelle bedroht große Teile der IT- und Spiele-Branche existenziell. Dabei mache ich mir um kleine und vor allem nichtkommerzielle Anbieter große Sorgen. Ich war vor zwei Wochen auf der gamescom in Köln und habe mit mehreren Entwicklern über den JMStV gesprochen. Die sind in Teilen schon sehr genervt von der Ignoranz der Politik. Dabei ist der Games-Bereich eine der wachstumstärksten Branchen überhaupt. Aber mal weg von dem existenziellen Thema der Arbeitsplätze, die dahinter stecken: Vielfalt freut mich mehr, als einige große Player. Da ist ein großes Sterben der kleinen Schmieden im Spiele- und IT-Bereich echt Gift.

Pottblog: Was sagst Du dazu, dass die SPD-geführte Landesregierung Presseberichten zufolge dafür werben möchte, der JMStV-Novelle zuzustimmen?

Veith Lemmen: Wir müssen mit allen Kräften versuchen, die SPD zu sensibilisieren, um zu verhindern, dass sie das Ding einfach durchstimmen. Da ist vor allem viel Aufklärungsarbeit von Nöten. Ich habe aber schon das Gefühl, dass innerhalb der Partei das Bewusstsein für diese Themen nach den Fehlern mit der Vorratsdatenspeicherung oder den Netzsperren insgesamt größer geworden ist, weil es eben keine randständigen Themen sind, sondern mit großen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Wir Jusos haben die Aufgabe, in der SPD und bei den einzelnen Abgeordneten dafür zu werben, die Novelle in der jetzigen Form abzulehnen. Wir tun da was wir können. Dafür wollen wir die Diskussion in die Partei hineintragen.

Pottblog: Wie soll das bewerkstelligt werden? Im Landtag sitzen meines Wissens ja keine Jusos, oder irre ich mich da?

Veith Lemmen: Es gibt schon ein paar Abgeordnete im Jusoalter, oder mit Jusohintergrund und es gibt sowohl Abgeordnete, als auch MitarbeiterInnen, die das Thema in unserem Sinne begreifen. Das macht Hoffnung, auch wenn ich nicht behaupten möchte, es würde einfach werden. Aber nur weil es möglich ist, dass wir in dem Thema keine Meinungsführerschaft bekommen, heißt es ja nicht, dass wir nicht alles versuchen müssen. Im Gegenteil, wir haben uns einiges überlegt und wollen das ausschöpfen. Ich werd hier nicht alles verraten, sonst wird es ja langweilig. Nur so viel zu den wenig überraschenden Möglichkeiten: Wir wollen in den nächsten Wochen mit den handelnden Akteuren aus Partei und Regierung sprechen und ihnen mitteilen an welchen Punkten wir Bauchschmerzen haben. Das ist ja eine Sache, die man – erst einmal – nicht unbedingt an die große Glocke hängen muss. Natürlich ist uns dabei klar, dass wir als Jusos nur einen kleinen Betrag leisten können, aber es ist unsere Aufgabe als Jugendorganisation ein Mittler zu sein und die Anliegen der jungen Leute ins politische System hineinzutragen. Ich kann zudem nur dazu aufrufen, dass andere auch das in ihrer Macht stehende tun. Außerdem sind wir immer dankbar für Unterstützung und neue Ideen.

Pottblog: Wenn Du gewählt wirst – was wird Deine erste Amtshandlung sein?

Veith Lemmen: Sollte mich die Landeskonferenz wählen, mache ich es, wie es sich für die Politik gehört: Ich schmeiße sofort Laptop und Co. weg und lese zukünftig Mails und Blogs nur noch als Ausdruck! Ansonsten beginnt die erste Plenarwoche des NRW-Landtages nach der Sommerpause am 15. September. Im Zusammenhang mit einigen Gesetzen möchte ich dringend ein paar Leute auf einige Juso-Positionen hinweisen.

Creative Commons LizenzvertragLizenzinformationen:
Das Bild Veith Lemmen von NRW Jusos steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.


6 Kommentare »

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  1. (1) Kommentar von Pepo @ 31. August 2010, 13:38 Uhr

    sehr schönes Interview. Veith wäre ein toller Landesvorsitzende und das dokumentiert er ja hiermit auch ausdrücklich. Keine literarischen vollmanifestierten propaganda-sprüche sondern lebensnah geschriebene Sätze, ich hoffe er wird gewählt und den NRW Jusos gut tun. Einen Drucker hätte ich inkl. Tinten noch über ;-)

    @Jens es heißt NRW Jusos und nicht Jusos NRW… Land vor Organisation.


  2. (2) Kommentar von Jens @ 1. September 2010, 06:50 Uhr

    @Pepo (1):
    Ach ja stimmt, erst das Land dann die Partei bzw. Organisation. Sprachlich gesehen finde ich es umgekehrt aber besser.


  3. (3) Kommentar von Pepo @ 1. September 2010, 16:25 Uhr

    dat heißt phonetisch und iss reine Gewöhnung.


  4. (4) Kommentar von lebowski @ 14. September 2010, 13:17 Uhr

    Ich will hier deine Interviewführung nicht kritisieren.
    Aber wenn einen Lemmen zum Thema „Meinungsfreiheit“ keine anderen Worte einfallen als Web 2.0, Content, Provider, Buzzword, digitales Leben, Softwarepatente usw, wäre es da nicht mal an der Zeit gewesen, das Zauberwort Sarrazin in den Raum zu werfen, um herauszufinden, wie sich Lemmen zu Meinungsfreiheit in konkreten Fällen verhält.


  5. (5) Kommentar von Jens @ 24. September 2010, 16:40 Uhr

    @lebowski (4):
    Naja, das Interview war schon primär auf Netzpolitik bezogen und nicht auf Meinungsfreiheit allgemein.

    Aber das Thema Sarrazin taugt meiner Meinung nach auch nicht zum Thema Meinungsfreiheit in einem anderen Kontext.


  6. (6) Pingback von Diskussion mit der Fraktion über den Jugendmedienschutzstaatsvertrag « NRW Jusos – Blog @ 28. Oktober 2010, 16:56 Uhr

    […] sollen sie dagegen stimmen, so jedenfalls die klare Position der NRW Jusos und vieler anderer Akteure. Deshalb fanden auch die NRW Jusos den Weg […]


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