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Jens Matheuszik — 10. Juli 2010, 00:26 Uhr

Warum mich die Netzpolitik („NRW Digital“) im rot-grünen Koalitionsvertrag enttäuscht #ltw10


Nach der Vorstellung des Koalitionsvertrages für Nordrhein-Westfalen von SPD und Grünen habe ich ja schon gefragt, ob Rot-Grün bei der Netzpolitik enttäuschen würden.

Das möchte ich jetzt dann doch noch genauer erläutern, denn eigentlich ist der Koalitionsvertrag, der unter dem Motto Zusammen für NRW steht, auch und gerade im netzpolitischen Teil sehr fortschrittlich. Hierzu verweise ich beispielsweise mal eben auf die netzpolitische Beurteilung durch Malte Spitz (aus dem Bundesvorstand der Grünen), der ich eigentlich fast komplett Wort für Wort zustimmen möchte. Das passt natürlich auf den ersten Blick nicht mit meinem Schlagwort „Enttäuschung“ zusammen – aber mir geht es nicht um die Punkte, die im Koalitionsvertrag im Unterkapitel „NRW Digital“ stehen. Mir geht es um die Punkte, die dort nicht stehen.

Ich vermisse im Koalitionsvertrag eine eindeutige Positionierung zum geplanten Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Dieser Staatsvertrag, der an sich primär den Rundfunk (und das Fernsehen) behandelt, gilt auch für das Internet und beinhaltet gerade in Bezug auf die Auswirkung auf das freie Internet Regelungen, die meiner Meinung nach fragwürdig sind. Zusätzlich gibt es merkwürdige Nebeneffekte – so darf man eine Tatort-Folge in der ARD-Mediathek erst ab 22:00 Uhr Ortszeit sehen. Im Fernsehen kann der Tatort wie bekannt um 20:15 Uhr laufen (warum eigentlich?).

Das zum JMStV nichts direkt im Koalitionsvertrag steht, das wundert mich aus mehreren Gründen:

  1. Die NRWSPD hat im Wahlprogramm Bedenken gegen die damals bekannt gewordenen Entwürfe zum JMStV geäußert. Grundlage hierfür waren die netzpolitischen Anträge auf dem Landesparteitag der NRWSPD Ende Februar 2010. Diese Anträge, die aus meiner Feder stammen, wurden angenommen (ich meine sogar einstimmig?) und damit wurde meiner Meinung nach das gute Programm noch verbessert.
  2. Zwar war die SPD die einzige Partei, die in ihrem Wahlprogramm sich explizit zum JMStV geäußert hat, aber bei Diskussionen, auf Nachfragen usw. erklärten auch die Grünen, dass sie mit dem JMStV Probleme haben. Insofern schien es hier kein großes „Konfliktpotential“ zu geben. Ganz im Gegenteil – eigentlich war das ein Thema, wo eigentlich eine Einigung problemlos möglich sein sollte, eben weil sowohl die SPD als auch die Grünen sich nahezu übereinstimmend vor der Wahl äußerten.
  3. Auch auf höchster Ebene war das Thema angekommen: Anfang März erklärte Spitzenkandidaten Hannelore Kraft die Netzpolitik der NRWSPD. Auch hier wurde Kritik am JMStV laut.
  4. Der JMStV ist ein originäres Länderthema. Im Gegensatz zu vielen anderen netzpolitischen Themen, die dann doch eher auf Bundes- oder gar auf europäischer Ebene angesiedelt sind, ist der JMStV ein Staatsvertrag der von den einzelnen Bundesländern geschlossen wird. Also wirklich ein Thema, welches von der Landespolitik bestimmt wird.
  5. Nachdem die NRWSPD in Sachen JMStV quasi programmatischer Vorreiter war, haben auch der Gesprächskreis Netzpolitik (auf Bundesebene der SPD) und der Bundeskongress der Jusos entsprechende Beschlüsse gegen den JMStV gefasst.

Natürlich ist mir klar, dass ein Wahlprogramm nicht unbedingt automatisch 1:1 in Regierungshandeln mündet. Vor allem wenn man keine absolute Mehrheit alleine errungen hat und sich mit einem oder mehr Koalitionspartner/n noch einigen muss. Wenn jedoch beide Koalitionspartner die selbe Meinung zu einem Thema haben, dann sollte doch eine Einigung leicht möglich sein.

Außerdem wäre auch gerade die Ablehnung des JMStV im nordrhein-westfälischen Landtag interessant für das Motto der so genannten „Koalition der Einladung“ – schließlich haben sich inzwischen Medienpolitiker aller Parteien bundesweit teilweise recht kritisch zum JMStV geäußert. Mit einer Ablehnung könnte man also auch Brücken zu den anderen Parteien bzw. Fraktionen im Landtag schlagen.

Doch noch Chancen für eine JMStV-Verhinderung?

Erstmal muss man den Koalitionsvertrag natürlich positiv sehen:
Es steht nicht drin, dass der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag einfach so durch den Landtag ratifiziert werden soll, was notwendig wäre, um ihn in Kraft zu setzen.

Andersherum gesagt: Wenn der nordrhein-westfälische Landtag dem JMStV, der noch von Jürgen Rüttgers bzw. seiner Staatskanzlei verhandelt wurde, nicht zustimmt, dann gilt er in der ganzen Bundesrepublik Deutschland nicht und man könnte – ohne dass die umstrittene Fassung Gültigkeit erlangt – neue Verhandlungen aufnehmen, die

„das berechtigte Ziel des Jugendschutzes in einen Einklang mit den Sorgen der Anbieter und Nutzer (bringen) […], die insbesondere frühere Entwürfe als realitätsfremd ansahen. Die NRWSPD wird sich aktiv an der Weiterentwicklung des JMStV beteiligen um einen Ausgleich zwischen allen Interessensgruppen zu erreichen.“

Quelle: Wahlprogramm der NRWSPD

Ich bin nicht so vermessen zu glauben, dass der Koalitionsvertrag, der heute ab 12:30 Uhr sowohl von den Grünen als auch bei der SPD diskutiert und (vermutlich) beschlossen wird, hier in diesem Punkt noch geändert werden kann. Aber wenn man sich den Rest des Koalitionsvertrages durchliest, dann findet man da z.B. Aussagen wie

„Zur Grundlage einer lebendigen Demokratie gehören Unabhängigkeit und Vielfalt der Medien, eine Stärkung von Bürgermedien und Blogs sowie ein Breitbandzugang für alle.“

Quelle: Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis ’90/Die Grünen

die meiner Meinung nach nicht dafür sprechen, dass man dem JMStV zustimmen kann. Insofern habe ich noch die Hoffnung, dass das Fehlen des JMStV im Koalitionsvertrag nur ein „redaktioneller Fehler“ ist und dass die Fraktionen im Düsseldorfer Landtag, bzw. vor allem die Fraktionen der SPD und der Grünen, sich an die Aussagen im Wahlkampf erinnern und dementsprechend entscheiden werden.

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die SPD und die Grünen in Nordrhein-Westfalen als netzpolitische Umfallerparteien gelten wollen, die in der Opposition andere Dinge fordern, als sie in der Regierungszeit umsetzen.


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