Versagen einiger klassischer Medien bei der Berichterstattung #ltw10
Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen stellt auch die klassischen Medien vor eine Herausforderung. Manchmal wünscht man sich da dann doch glatt mehr von Helmut Markworts Mantra – denn Fakten, Fakten, Fakten sind nicht immer die Grundlagen für manche Berichte.
Am vergangenen Dienstag berichtete beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) über den Koalitionspoker in NRW, dass die CDU eventuell Jürgen Rüttgers als Ministerpräsidenten für eine große Koalition mit der SPD opfern würde. Da jedoch in der Landtagsfraktion niemand Rüttgers ersetzen könnte, wären die Mitglieder der Bundesregierung Ronald Pofalla oder Norbert Röttgen oder gar der Bundestagspräsident Norbert Lammert im Gespräch für die Rüttgers-Nachfolge.
Daher setzte ich via Twitter die Nachricht
@faznet Zum „Vorsprung“ (S. 12): Es kann kein CDU-Bundespolitiker Rüttgers als MP ersetzt werden. Das wäre gg. die Verfassung. #NRW #fb
ab ((und hier sieht man gut, warum man manchmal einen Tweet vor dem Absenden noch einmal gegenlesen sollte… korrekterweise hätte es „Es kann kein CDU-Bundespolitiker Rüttgers als MP ersetzen.“ lauten müssen)). Dieser Tweet war an sich an die FAZ selbst gerichtet, wurde aber natürlich nicht von dort beantwortet.
Stattdessen griff das BILDblog meinen Tweet im Beitrag Wer alles nicht Ministerpräsident in NRW wird auf und zeigte en detail auf, dass das, was die FAZ da vermutete gar nicht möglich sei, da es gegen die nordrhein-westfälische Landesverfassung verstoßen würde. Denn Artikel 52 (1) der Landesverfassung Nordrhein-Westfalens zufolge muss der Ministerpräsident aus den Reihen des Landtags gewählt werden. Wenn Georg Paul Hefty (der Autor der FAZ-Meldung) also recht hat und niemand in der Fraktion Jürgen Rüttgers ersetzen kann, könnte die CDU doch statttdessen die Abgeordnete Hannelore Kraft (SPD) zur Ministerpräsidentin wählen. Die wichtigste Voraussetzung – Mitglied des Landtages (MdL) – hat sie auf jeden Fall erfüllt.
Was mich bei dieser Sache so wunderte ist die Tatsache, dass die FAZ jetzt ja nicht gerade irgendeine Zeitung ist… aber vielleicht hat man im fernen Frankfurt keinen Ãœberblick über die nordrhein-westfälische Landesverfassung. Das würde auch Artikel wie diesen hier erklären, denn nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich:
Abgesehen davon, dass Hannelore Kraft (SPD) nicht solche Aussagen wie Andrea Ypsilanti (SPD) gemacht hat, gibt es in der oben erwähnten nordrhein-westfälischen Landesverfassung den Artikel 52 (2), 2. Halbsatz – der unterscheidet sich dann doch von Artikel 101 der hessischen Verfassung. Das wurde damals Andrea Ypsilanti zum Verhängnis, denn in Hessen braucht man die absolute Mehrheit der gesamten Mitglieder des Landtages zur Wahl des Ministerpräsidenten bzw. der Ministerpräsidentin. In Nordrhein-Westfalen würde nach dem ersten Wahlgang die einfache Mehrheit ausreichen.
Ein Tag später am Mittwoch hat das WDR-Landtagsblog die Thematik aufgegriffen – für die FAZ leider zu spät… ;)
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Doch auch der WDR ist vor Fehlern bei der Berichterstattung nicht gefeit. So berichtete die Lokalzeit Ruhr im WDR-Fernsehen über den Essener CDU-Politiker Manfred Kuhmichel als „den Letzten seiner Art“ (DerWesten hat das ganze mit der Ãœberschrift CDU-Politiker als Rarität übernommen).
In diesem Fernsehbeitrag wurde die steile These aufgestellt, dass eben besagter Manfred Kuhmichel der einzige CDU-Abgeordnete aus dem gesamten Ruhrgebiet sei. Das stimmt nicht so ganz – denn zwar hat Kuhmichel mit rund 1000 Stimmen Vorsprung vor seinem Mitbewerber Peter Weckmann (SPD) das Direktmandat gewonnen, aber er war nicht der einzige. Denn im Kreis Recklinghausen ((und es wird ja wohl niemand bezweifeln, dass Städte wie Castrop-Rauxel, Datteln oder Recklinghausen selbst zum Ruhrgebiet gehören…)) hat mit einem Vorsprung von unter 300 Stimmen der CDU-Kandidat Josef Franz Hovenjürgen gegen seinen SPD-Mitbewerber Hans-Peter Müller sehr knapp gewonnen.
Es stimmt zwar, dass die SPD bei der Landtagswahl die Metropole Ruhr dominiert (wie ich selber berichtete), aber Manferd Kuhmichel ist halt nicht der letzte seiner Art.
Was mich jedoch daran wundert – warum hat Manfred Kuhmichel beim Dreh bzw. vorab über die fehlerhafte Annahme des WDR berichtet? Oder wusste er es gar selber nicht?!
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Nur der Vollständigkeit halber weise ich noch einmal auf den Beitrag Report Mainz fällt bei Bericht über die Linkspartei auf Satire-Partei ‘rein #ltw10 hin.
PS: Das man sich mehr Helmut Markwort wünscht (wie ganz oben berichtet) ziehe ich zurück…
Ãœber die Reihe „Nach der NRW-Landtagswahl 2010“:
Ich habe beschlossen über die Folgen der Landtagswahl 2010, meine Eindrücke usw. in einer kleinen Reihe zu bloggen. Vielleicht werden es nur zwei oder drei Beiträge, vielleicht aber auch mehr. Mal sehen. :)
[…] NRW II: Versagen der klassischen Medien bei der Landtagswahl-Berichterstattung….Pottblog […]
In die Reihe hätte auch noch das ZDF mit seinen „Hochrechnungen“ gepasst. Für mich sind das Fehler von Medien, aber ist „Versagen der klassischen Medien“ nicht etwas hoch gegriffen? Für mich sind das – ärgerliche – Einzefälle, die heutzutage Dank des Netzes transparent gemacht werden. Aber als jemand, der in der Wahlberichterstattung gearbeitet hat (bei einem Medium – klassisch crossmedial ;-)) ziehe ich mir den kollektiven Versagen-Schuh nicht an.
@Oliver Finde ich auch – schließlich haben da „die Medien“ nicht kollektiv versagt.
Allerdings ist es eben immer wieder komisch zu sehen, wie Verleger & einige Journalisten beständig vom „Qualitätsjournalismus“ sprechen & dann solche eklatanten Fehler (gerne im eigenen Haus) passieren. Denn eines dürfte offensichtlich sein: Das, was dort abgeliefert wurde, ist einfach nur schlecht. Und hat leider mit Qualität nicht viel zu tun…
[…] Pottblog: Versagen der Medien KLICK […]
Die SWR-Sendung hat noch peinlichere Berichterstattung nach sich gezogen. Denn im Handelsblatt wird auf den Verfassungsschutzbericht 2009 von NRW verlinkt, wo angeblich die Rote Hilfe als linksextrem bezeichnet wird. In dem Bericht steht allerdings nichts zur Roten Hilfe …
Ich glaube nicht, dass sich die Berichterstattung über die Landtagswahl zur generellen Medienschelte eignet.
In bezug auf die Lokalzeit Ruhr kann ich sagen, dass im genannten Beitrag übrigens vom „mittleren Ruhrgebiet“ gesprochen wurde. Da ist Herr Kuhmichel tatsächlich der letzte CDU-Landtagsabgeordnete. Natürlich war ihm und der Lokalzeit Ruhr-Redaktion bekannt, dass er noch einen Kollegen in Haltern, also im nördlichen Ruhrgebiet hat. Auch wenn man das Ruhrgebiet sicherlich immer als ganzes im Blick haben sollte, halte ich eine Differenzierung in einer Wahlnachberichterstattung für zulässig.
Bemerkenswert empfinde ich es aber, wie leicht Journalisten ihren Kollegen „Versagen“ o.ä. unterstellen ohne nachzufragen oder genau hinzuhören.
@Oliver Koch (2):
Okay, man müsste da die Ãœberschrift etwas abändern – was ich jetzt gleich auch machen werde. Es ist aber schon so, dass ich die WAZ, den WDR und die FAZ für journalistische Größen halte. Wir reden ja nicht vom Vinnumer Tagblatt hier.
@Ralf Makrutzki (6):
Bei DerWesten heißt es:
„Manfred Kuhmichel ist der einzige direkt gewählte Kandidat der CDU im Ruhrgebiet.
Die CDU hat bei der Landtagswahl viele Wählerstimmen eingebüßt. Das Ruhrgebiet ist traditionell kein gutes Pflaster für die Christdemokraten. Nur einer hat es geschafft: Manfred Kuhmichel ist der einzige Kandidat der CDU im Ruhrgebiet, der direkt gewählt wurde.“
Das ist faktisch falsch. Im WDR-Bericht wird, da hast Du recht, kurz was vom mittleren Ruhrgebiet erwähnt (wußte gar nicht, dass wir sowas haben…) – aber Kuhmichel sagt selber, er wäre der einzige im Ruhrgebiet und weiter später heißt es in der WDR-Off-Stimme noch einmal, dass Kuhmichel der einzige CDU-Abgeordnete im Ruhrgebiet ist.
Insofern bin ich mir nicht sicher, ob das wirklich bekannt ist, dass es in Datteln & Co. einen CDU-Abgeordneten gibt.