WAZ-Krise: Wohl keine Bedenken des Kartellamtes gegenüber dem WAZ-Newsdesk-Modell?
Im Rahmen der Sparpläne der WAZ-Mediengruppe wurde ein neues redaktionelles Konzept für den Mantelteil von WAZ, NRZ und WR bekannt.
Dieses Konzept wurde von den Chefredakteuren erarbeitet, was z.B. Ulrich Reitz als WAZ-Chefredakteur der Gruppengeschäftsführung der WAZ-Mediengruppe hoch anrechnet. Laut seiner Aussage im Interview mit dem Medienmagazin ZAPP sei es (sinngemäß) doch sehr schön, dass die Chefredakteure das neue Konzept entwickeln konnten und nicht irgendwelche Controller ((wobei man natürlich anmerken muss, dass Ulrich Reitz inzwischen nicht nur Chefredakteur, sondern auch Mitglied der Geschäftsleitung ist)).
Ich persönlich fand jedoch auch immer den (kartell)rechtlichen Aspekt interessant, denn als in den 70’er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) die Mitbewerber Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung (NRZ), Westfälische Rundschau (WR) und Westfalenpost übernahm, wurde das ganze natürlich auch kartellrechtlich beurteilt.
Meines Wissens war es immer so, dass die Ãœbernahme der Zeitungen nur gestattet wurde, da man sich auf Seiten der WAZ damit einverstanden erklärte, dass die redaktionelle Eigenständigkeit der anderen Titel beibehalten wird. Das sogenannte „WAZ-Modell“ war geboren. Insofern erkundigte ich mich jetzt beim Bundeskartellamt dazu:
Bei der Übernahme der NRZ hatte die WAZ bereits die Kontrolle über die WP und die WR und somit eine eindeutige marktbeherrschende Stellung. Die Originalentscheidungen von 1975 sind nach Auskunft des Bundeskartellamts gegenüber dem Pottblog leider nicht mehr verfügbar, da die gesetzlichen Aufbewahrungsfristen seit Jahrzehnten bereits abgelaufen sind. Höchstens im Bundesarchiv zu Koblenz könnten noch Kopien vorliegen. Eine Zusammenfassung findet man jedoch im Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes von 1975 (Seite 42f.; Achtung über 18 MB groß!).
Hier heißt es (Hervorhebung von mir):
„Die Prüfung des Vorhabens hat ergeben, daß die WAZ und die mit ihr verbundenen Zeitungen Westfalenpost (WP) und Westfälische Rundschau (WR) bereits vor der Verwirklichung des geplanten Zusammenschlusses [mit der NRZ; Anm. d. Bloggers] auf dem Markt für regionale Abonnements-Tageszeitungen innerhalb des Verbreitungsgebietes der WAZ/WP/WR marktbeherrschend waren (Lesermarkt).
[…]
Sowohl auf dem Leser- als auch auf einem weit verstandenen Anzeigenmarkt wird die gesetzliche Monopolvermutung durch die WAZ erfüllt.
[…]
Das Zusammenschlußvorhaben war dennoch nicht zu untersagen, weil durch den beabsichtigten Zusammenschluß auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten, die die Nachteile der Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung überwiegen.
[…]
Ohne den Zusammenschluß müßte die NRZ ihr Erscheinen kurzfristig einstellen und als selbständiger Wettbewerber ausscheiden. Demgegenüber werden durch den Zusammenschluß eine Reihe von vertraglich garantierten Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten. Insbesondere kann die NRZ unter dem bisherigen Herausgeber bei Aufrechterhaltung selbständiger Redaktionen auch im Lokalbereich weiterhin unter ihrem bisherigen Titel erscheinen.
[…]“
Demnach dürfte eigentlich ein gemeinsamer Newsdesk nicht möglich sein – im DIE ZEIT-Artikel Essener Elefantenhochzeit heißt es dementsprechend auch:
„Bei der NRZ ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Aber es scheint, daß dort die Haupt- und die Lokalredaktionen bis auf eine oder zwei Ausnahmen selbständig bleiben. Auf Dauer — wie von den Verhandlungspartnern beider Seiten immer wieder versichert wird.“
Weiter heißt es dort jedoch auch schon im nächsten Satz:
„Doch wer kann schon dauerhafte Garantien in einem Gewerbe geben, das wie kaum ein anderes vom Kostendruck und Zwang zu technischer Erneuerung gebeutelt wird?“
Nach Auskunft des Bundeskartellamts muss man natürlich grundsätzlich auf die Einhaltung von Bedingungen achten, wenn es sich um echte Bedingungen oder Auflagen handelt.
Jedoch sei es fraglich, ob die redaktionelle Selbständigkeit damals als echte, eigenständig vollstreckbare Nebenbestimmung im Beschluss festgelegt war. Nach der Zusammenfassung des Tätigkeitsberichtes ist jedoch wohl zumindest zu bezweifeln, da es wohl eher nach einer vertraglichen Verpflichtung zwischen den Parteien klingt.
Aber selbst wenn dies eine „echte“ Nebenbestimmung des Bundeskartellamts sei, kann man laut dem Bundeskartellamt fast 34 Jahren später nicht einfach blind vollstrecken, sondern müsste wohl auch die aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen und Gegebenheiten mit ins Kalkül ziehen.
Weiter heißt es in der Antwort auf meine Anfrage:
„Nach den der zuständigen Beschlussabteilung vorliegenden Informationen muss der Vorgang als rein konzernintern bewertet werden, der ein Tätigwerden des Amtes nicht erforderlich macht.“
Um genaueres zu erfahren, müsste man wohl die Original-Bescheide des Bundeskartellamts sichten…
Doch selbst wenn damals entsprechende Nebenbestimmungen getroffen wurden ist es immer noch fraglich, ob sie heutzutage einfach 1:1 angewandt werden können. Interessant ist es jedoch, dass in der aktuellen Diskussion (siehe z.B. das ZAPP-Interview mit Bodo Hombach) die damaligen Entscheidungen bezüglich Redaktionsautonomie gar nicht mal mehr erwähnt werden.
[…] sprach mit don alphonso über die qualität des webauftritts derwesten und schrieb immer wieder über die aktuellen entwicklungen in der waz-krise. weiterhin wichtig zur information: das […]
[…] Genau das ist doch eben die Krux: Welches Ereignis ist es wert, von verschiedenen Redakteuren der verschiedenen Zeitungen gleichzeitig bearbeitet zu werden? Wo bleibt die journalistische Vielfalt? Als die Mediengruppe seinerzeit NRZ, WR und Westfalenpost (WP) kaufte, geschah dies unter der Voraussetzung, dass die redaktionelle Eigenständigkeit erhalten bleibt – das WAZ-Modell. Wenn das nun geändert wird: Was wird das Kartellamt dazu sagen? Dazu mehr im Pottblog. […]