Interview mit einer Lokalredakteurin der WAZ-Mediengruppe (zur WAZ-Krise)
Die Sparpläne der WAZ-Mediengruppe sind bisher nur für den Bereich des sogenannten Zeitungsmantels, also des allgemeinen Teils bekannt.
Es ist jedoch zu befürchten, dass nicht nur die Mantelredaktionen der Titel der drei Titel WAZ, NRZ und WR am neuen gemeinsamen „Newsdesk“ zusammengelegt werden, sondern auch im Lokalbereich die Sparpläne sich auswirken werden.
Wie ist derzeit noch nicht bekannt, jedoch haben die Lokalredakteure der WAZ-Mediengruppe bereits eine Resolution verfasst, in der diese die Wichtigkeit der Lokalteile für die einzelnen Zeitungstitel unterstreichen. Wenn man mal ehrlich ist, dann sollte eigentlich auch bei der Geschäftsführung der WAZ-Mediengruppe klar sein, dass ein überwiegender Teil der Leserschaft die Zeitungen wegen der Lokalberichterstattung liest und abonniert hat und nicht wegen dem überregionalen Teil. Wer sich dafür interessiert liest FAZ, SZ, Welt oder ähnliches – aber nicht unbedingt WAZ, NRZ, WR oder die WP.
Welche Ängste die derzeitigen Sparpläne, die derzeit noch gar nicht vollständig bekannt sind, auslösen wird in dem nachfolgenden Interview deutlich, was mir eine Lokalredakteurin der WAZ-Mediengruppe gegeben hat, die – aus verständlichen Gründen! – anonym bleiben möchte:
Eigentlich sollte dieses Gespräch in einem anderen Rahmen (einem eher festlichen) erscheinen und auch primär ein anderes Thema haben, doch nachdem sich die Ereignisse bei der WAZ-Mediengruppe in den letzten Tagen und Wochen überschlugen, wurde die bisherige Planung über den Haufen geworfen und abgeändert und das ganze neu angesetzt.
Jens Matheuszik: Könnten Sie sich den Lesern des Pottblogs kurz vorstellen – wobei das natürlich eher funktionell gemeint ist, denn die Anonymität soll ja gewahrt bleiben.
Lokalredakteurin: Ich bin in der Lokalredaktion im wahrsten Sinne Mädchen für alles. Hier muss jeder fast über alles schreiben, sich um das Layout kümmern und auch noch für Online arbeiten.
Jens Matheuszik: In den letzten Wochen kam es zu einigen Entwicklungen bei der WAZ-Mediengruppe, die man sich in der Vergangenheit so hätte kaum träumen lassen könnte. Während Mitbewerber in anderen Regionen komplette Lokalredaktionen austauschten und den betroffenen Mitarbeitern nahezu jegliche Perspektive nahmen, wurde dies bei der WAZ-Mediengruppe bisher anders behandelt. Selbst nach Schließung zahlreicher Lokalredaktionen im Kreis Recklinghausen soll es zu keiner einzigen Kündigung gekommen sein. Wie empfanden Sie es daher, dass in einem Interview des WAZ-Geschäftsführers Christian Nienhaus erstmals der Begriff „betriebsbedingte Kündigung“ fiel?
Lokalredakteurin: Das haben wir als Kulturschock erlebt. Es ist nicht leicht zu ertragen, dass man plötzlich von der Redakteurin zur Kostenstelle wird, die es zu entsorgen gilt. Wir hängen uns seit Jahren hier richtig rein, um den Lesern eine gute Lokalausgabe zu bieten. Auch die Mehrbelastung durch die Arbeit für DerWesten haben wir klaglos übernommen. Jetzt soll das alles auf einmal nichts mehr wert sein.
Jens Matheuszik: Ist die Stimmung bei den anderen Kolleginnen und Kollegen vor Ort entsprechend?
Lokalredakteurin: Hier herrscht ein Klima der Angst. Bei Gesprächen mit Kollegen wird immer nach Alter und Zeit der Betriebszugehörigkeit gefragt, um die persönlichen Chancen für den angedrohten Sozialplan auszuloten. Zu kreativem Arbeiten muss man sich schon selbst zwingen, wenn man echte Existenzängste hat.
Jens Matheuszik: Ist es aber nicht verständlich, dass man seitens der Geschäftsführung Maßnahmen ergreift um „vor einer ökonomischen Katastrophe“ die Weichen so zu stellen, dass es eben nicht zum Schlimmsten kommt?
Lokalredakteurin: Das man Maßnahmen ergreifen muss ist uns klar, wenn die vom Verlag genannten Zahlen tatsächlich stimmen. Doch da sind intelligente Lösungen gefragt und das Hinauswerfen journalistischen Kompetenz ist bei einem kerngesunden Konzern sicher nicht der klügste Weg.
Jens Matheuszik: Wenn die Zahlen tatsächlich stimmen… gibt es Zweifel daran, dass die WAZ-Mediengruppe „vor einer ökonomischen Katastrophe“ steht?
Lokalredakteurin: Die Zahlen gibt der Verlag zurzeit Stück für Stück dem Betriebsrat preis, der sie von Experten prüfen lässt. Bei der WAZ allerdings von ökonomischer Katastrophe zu sprechen, ist angesichts gefüllter Kriegskassen schon ein Hohn.
Jens Matheuszik: Inzwischen ist der Vorschlag für ein neues Mantelkonzept von WAZ, NRZ und WR bekannt geworden: Diese drei Zeitungen sollen im Bezug auf den Mantelteil ihre Zusammenarbeit deutlich stärken. Ist dies nicht sogar sinnvoll?
Lokalredakteurin: Dieser Abschied vom einstigen Erfolgsmodell der WAZ-Gruppe nimmt den Titeln ihr eigenes Gesicht, ihre eigene Linie. Das wird ein Einheitsbrei, oder, wie es die taz nennt, eine Pampe. Alles wird nur noch auf die Haltung einer Redaktionsleitung zugeschnitten, der Zeitungsmarkt im Ruhrgebiet verliert seine Vielfalt.
Jens Matheuszik: Aber gab’s das nicht vorher auch schon, in dem z.B. alle Titel teilweise massiv die Dienste von dpa genutzt haben? Erst durch das Internet weiß man ja, dass – wie es ein Kommentator mal schrieb – man quasi 300 dpa-Zeitungen im Lande hat.
Lokalredakteurin: Seit Jahren ist bei der WAZ recht erfolgreich der Begriff Autorenzeitung verwirklicht worden. Im Lokalen hat man übrigens schon immer ohne dpa-Netz selbst geschrieben.
Jens Matheuszik: Ich fragte ja gerade bereits nach der Stimmung vor Ort. Eigentlich betrifft das neue Mantelkonzept die Lokalredaktionen vor Ort erst einmal grundsätzlich nicht. Wieso gibt es denn dann gerade auch auf Seiten der Lokalredakteure Protest?
Lokalredakteurin: Das Mantelkonzept ist doch nur der Anfang und wir befürchten, dass dieses Modell auch dem lokalen Bereich übergestülpt wird. Wir befürchten, dass in Städten mit zwei Redaktionen jeweils eine Redaktion geschlossen wird oder, wie in Dortmund bei WAZ und WR schon praktiziert, nur noch ein Rumpfteam den jeweils anderen Titel repräsentiert. Da darf dann hin und wieder mal ein Artikel ausgetauscht werden.
Jens Matheuszik: Ursprünglich hatten wir uns ja getroffen um ein Gespräch anlässlich des einjährigen Geburtstages von „DerWesten“ dem Internet-Portal der WAZ-Mediengruppe zu führen. Was sagen Sie denn den Kolleginnen und Kollegen des Onlineablegers der WAZ-Mediengruppe zu ihrem Jubiläum?
Lokalredakteurin: Bisher war das kein Grund zum Feiern. Die Kinderkrankheiten des Redaktionssystems, mit dem wir den Online-Bereich bedienen, sind noch immer nicht geheilt worden. Die Fehlermeldungen müllen einem täglich die Mailbox voll. Oft verschwinden ganze Artikel plötzlich im Nirwana und Fotostrecken werden vom abstürzenden System verschluckt. Es gibt manchmal nur schmale Zeitfenster um etwas online zu stellen. Wenn die Technik dann nach Print-Seiten ruft, kann man wegen DerWesten nicht den Andruck-Termin gefährden.
Jens Matheuszik: Der Kontakt zwischen uns kam ja aufgrund meiner Kritik an der Online-Arbeit der WAZ-Lokalredaktion Bochum zustande. Auch wenn Sie jetzt nicht direkt aus Bochum kommen – war meine damalige Kritik zu harsch, genau richtig, oder hätte ich vielleicht noch eine Schüppe oben drauf legen sollen?
Lokalredakteurin: Die Außenansicht unterscheidet sich da doch deutlich von der Innenansicht. Aus dem Blickwinkel eines Internet-Fans mag die Kritik sicher berechtigt gewesen sein. Aus unserer Sicht fühlen wir uns von den Onlinern manchmal im Stich gelassen. Es wird aus dem virtuellen Raum immer nur gefordert, wir werden aber nicht gefördert. So weit ich weiß, hat Frau Borchert bisher noch keine Lokalredaktion persönlich besucht, um Werbung für das Projekt zu machen. Stattdessen äußerte sie ja in der Blog-Öffentlichkeit harsche Kritik, ohne je mit den Betroffenen geredet zu haben.
Jens Matheuszik: Im inzwischen eingerichteten Protestblog zur WAZ-Mediengruppe ist viel die Rede von einem „Gegeneinanderausspielen“ von Print und Online? Wie sehen Sie das?
Lokalredakteurin: Das ist eine gefährliche Entwicklung, da ist eher gegenseitige Solidarität gefragt. Sieht man es ökonomisch, ist DerWesten bisher auch kein Erfolg, schreibt rote Zahlen. Verluste gefährden ja jetzt unsere Print-Arbeitsplätze. Wie mag es wohl aussehen, wenn der Online-Bereich in Zukunft nicht die gesteckten finanziellen Ziele erreicht?
Jens Matheuszik: Wird man als Lokalredakteurin eigentlich zusätzlich entlohnt, wenn man für den Westen arbeitet oder werden die Personalkosten nach einem wie auch immer gearteten Schlüssel dem Westen zugerechnet?
Lokalredakteurin: Online ist für uns unbezahlte Zusatzarbeit. Von einer internen Verrechnung mit New Media weiß ich nichts, das prüft aber gerade der Betriebsrat.
Jens Matheuszik: Nehmen wir an, Sie wären Geschäftsführerin der WAZ-Mediengruppe. Was würden Sie anders machen als die derzeitige Geschäftsführung?
Lokalredakteurin: Wenn ich Königin von Deutschland wäre… Aber ernsthaft, die Gewerkschaften haben verschiedenen Modelle entwickelt, wie man ohne Kündigungen die Kosten senken kann. Dazu brauchte man eben einen etwas längeren Atem und müsste Quersubventionen aus ertragreichen Unternehmensteilen hinnehmen. Die Zeitungen in Südost-Europa, die jetzt Gewinne bringen, weil wir hier über Jahre die Kaufpreise erwirtschaftet haben.
Jens Matheuszik: Ich danke für das Gespräch und wünsche Ihnen alles Gute!
Lokalredakteurin: Danke, ich kann es brauchen.
Das klingt ja sehr gut! Und mal ernsthaft: Wer hätte denn damit gerechnet, dass Journalisten vom Prinzip „entlassen trotz guter Arbeit“ verschont werden? Das gilt doch schon seit Jahren für so viele Branchen in Deutschland.
@Kunar (1):
Wobei ich die meisten Fotostrecken im Westen gar nicht soooo schlimm finde. Da gibt es andere, viel abschreckendere Beispiele.
[…] ihre arbeit wird derzeit von bloggern, allen voran pottblogger jens matheuszik, übernommen: er interviewte eine lokalredakteurin zu den waz-sparmaßnahmen, sprach mit don alphonso über die qualität des webauftritts derwesten und schrieb immer wieder […]