Ein Interview, zwei Zeitungen, mehrere gleiche Antworten – am Beispiel der RN und der WAZ
Bekanntlich bin ich Fan von Borussia Dortmund (BVB). Insofern interessierte es mich natürlich, dass heute auf der ersten WAZ-Seite ein „WAZ-Interview“ mit Jürgen Klopp, dem neuen Dortmund-Trainer, angekündigt wurde.
Im Sportteil fand sich dann das „Gespräch mit Peter Müller“ und Jürgen Klopp.
Das ganze gibt es auch unter der Ãœberschrift Leidenschaft am Limit (im Print heißt es noch „Leidenschaft bis ans Limit“).
Noch faszinierender als das Interview fand ich jedoch, dass in der heutigen Ausgabe der Ruhr Nachrichten ebenfalls ein Interview mit Jürgen Klopp zu lesen war – sowohl on- wie offline unter der Ãœberschrift „Ihr müsst die Reset-Taste drücken“. Während in der Printausgabe am Ende nur „Gespräch: Sascha Fligge“ steht, heißt es online überhalb des Interviews „Das Gespräch führte Sascha Fligge am 6. Juli 2008 14:50 Uhr“. Grafisch sieht das wie folgt aus:
(Screenshot: ruhrnachrichten.de)
Damit wird schon ein wenig suggeriert, als ob es sich um einen exklusiven Beitrag handeln würde. An und für sich handelt es sich auch um zwei verschiedene Interviews, doch faszinierend fand ich die Ähnlichkeit beider Interviews – sowohl von den Fragen als auch von den Antworten her.
Nachfolgend eine Auswahl von ähnlichen Passagen – wobei die Hervorhebungen von mir stammen:
WAZ | RN |
WAZ: Was werden Sie vermissen nach dem Abschied vom ZDF? Klopp: Die Leute. Ich habe Freunde gefunden, darunter auch Johannes B. Kerner und Urs Meier. |
RN: Sie haben Ihre Wirkung beim Fernsehzuschauer nicht verfehlt. Was haben Ihnen die drei Jahre beim ZDF gebracht? Klopp: Freunde. |
WAZ: Während der EM sahen wir im Fernsehen nahezu ausschließlich den netten, spontanen, gutgelaunten Jürgen Klopp. Wird es in Dortmund auch einen anderen geben? Klopp: Den gibt es doch längst. Ich bin ein emotionaler Mensch, aber ich habe grundsätzlich einen positiven Ansatz. Ich betrachte mein Leben als Geschenk, es ist besser gelaufen, als ich es je hätte planen können. Ich denke deshalb: Alle Probleme jenseits von Krankheit sind zu lösen. Aber: Googeln Sie mal Bilder von mir. Auf den meisten sehe ich aus, als wollte ich im nächsten Moment jemanden killen. Nicht, als würde ich jemanden umarmen. |
RN: Die Fans kennen Sie nur als den offenen, lächelnden Trainer. Das birgt die Gefahr, dass viele gar nicht glauben, es könnte da noch einen anderen Jürgen Klopp geben. Klopp: Den anderen gibt’s! Definitiv. RN: Wir würden gerne den Jähzornigen sehen. Klopp: Ich wünsche Ihnen den Tag nicht, an dem’s passiert. Natürlich kann ich so sein. Googlen Sie mal Bilder von mir: Sie werden mehr finden, auf denen ich aussehe, als würde ich einen killen, als solche, auf denen ich jemanden umarme. Trotzdem habe ich mit ein wenig Abstand in der Regel einen positiven Ansatz zu jedem Thema. Ich verstehe das Leben als Geschenk. Es ist besser gelaufen als erwartet – bis hierhin. RN: Ihr Credo? Klopp: Alle Probleme abseits des Themas „Krankheiten“ sind zu lösen. Punkt. |
WAZ: Sie haben Ihren geschützten Bereich in Mainz verlassen. Mussten Sie lange überlegen, bis Sie dazu bereit waren? Klopp: Ich war dazu immer bereit. Außerdem, auch wenn das kaum jemand glauben will: Wir haben in Mainz richtig hart gearbeitet. Und ich habe nicht das Gefühl, einen geschützten Bereich zu verlassen und mich in einen ungeschützten zu begeben. Müsste ich ein Haus bauen, würde ich fürchten, dass kein Stein auf dem anderen liegen bliebe. Aber ich trainiere Fußballmannschaften. Und das kann ich. |
RN: Ist das Verlassen der behüteten Zone Mainz auch mit Zweifeln verbunden gewesen? Klopp: Sie vergessen, dass dort viel mehr Verantwortung auf mir lastete als in Dortmund. Als ich mit Mainz in der Bundesliga sieben Spiele in Serie verloren habe, sagten alle erstaunt: „Er darf weitermachen.“ Ich weiß auch nicht, ob es jemanden in der Liga-Geschichte gegeben hat, der sieben Mal in Serie verlieren durfte und beim achten dann nicht im Urlaub war. Ich hingegen musste das achte Spiel mit einer völlig verunsicherten Mannschaft, die ohnehin ständig am Limit spielte, gewinnen. Das war kein Traaumjob, sondern eine riesige Herausforderung. Um zu Ihrer Ausgangsfrage zurückzukommen: Ich habe nicht das Gefühl, dass ich jetzt einen geschützten Raum verlasse. Ich bewege mich auf sicherem Terrain. Das, was ich mache, kann ich. |
WAZ: Die Aufbruchstimmung gab es in den vergangenen Jahren wiederholt in Dortmund. Die Fans scheinen aber mittlerweile geerdet zu sein, sie erwarten nicht mehr, dass die Mannschaft alles überrollt. Klopp: So muss man das sehen, wenn man etwas vom Fußball versteht. Wir sollten nicht nach hinten rutschen, aber wir sollten die Erwartungen vernünftig einordnen. Wenn diese Mannschaft von Anfang an unter einer überzogenen Erwartungshaltung leidet, haben wir keine Chance. |
RN: Dortmund verzeichnet sieben Neuzugänge, deren Durchschnittsalter liegt zwischen 22 und 23 Jahren, insgesamt waren sie rund elf Millionen Euro teuer. Angesichts solcher Parameter muss das neue Team nicht unbedingt die ganze Liga aufmischen, oder? Klopp: Die Voraussetzungen sind jedenfalls nicht so schlecht, dass wir befürchten müssten, gleich nach hinten durchzurutschen. Aber alle sollten ihre Erwartungen neu einordnen. Wenn diese Mannschaft eine vernünftige Erwartungshaltung haben darf, dann gibt es die Möglichkeit, gemessen an diesem Realismus erfolgreich zu sein. Wenn sie von Anfang an einer überzogenen Erwartungshaltung hinterher rennt, hat sie gar keine Chance. |
WAZ: Ein Problem der vergangenen Saison war die Innenverteidigung. Für Neven Subotic, den Sie aus Mainz mitgebracht haben, sind dreieinhalb bis fünf Millionen Euro bezahlt worden. Der Junge ist erst 19. Klopp: Ich bin doch nicht bescheuert und bringe einen Blinden mit zu meinem neuen Verein. Grundsätzlich sind die Preise im Fußball ja nicht mehr realistisch. Normalerweise bezahlt man Geld für etwas, was bereits geleistet wurde. Wir haben jetzt eben mal Geld ausgegeben für etwas, was noch geleistet wird. |
RN: War es sinnig, zwischen 3,5 und 5 Millionen Euro für den erst 19 Jahre jungen Mainzer Neven Subotic zu investieren? Klopp: Natürlich ist der eine oder andere Preis, der bezahlt wird, nicht mehr realistisch. In anderen Ländern wird noch mehr bezahlt, da spielen die Jungs aber auch viel früher. Und das ist entscheidend. Nehmen Sie Philippe Senderos. Der wechselt aus der Schweiz, wo man jetzt nicht gerade die beste Liga der Welt vermuten würde, mit 18 Jahren zum FC Arsenal. Spielt aber direkt. In Deutschland hat das noch nie ein Innenverteidiger geschafft. Uns fehlt in Deutschland diese Mentalität. Ich habe keine Bauschmerzen, mit zwei 19-Jährigen im Abwehrzentrum zu spielen. Mats Hummels kann was. Felipe Santana auch. Neven kenne ich seit zwei Jahren – der ist richtig gut. Ich bin doch nicht bescheuert und bringe einen Blinden mit hierher, weil der möglicherweise ne nette Frisur hat. |
WAZ: Aber jede Mannschaft hat doch Säulen, die besser nicht wegbrechen sollten. Es muss schlimm für Sie gewesen sein, als Sie beim ersten EM-Spiel sahen, wie sich ausgerechnet Alex Frei verletzte. Klopp: Da wäre ich am liebsten gegangen, da war für mich die EM eigentlich schon beendet. Ich hatte ja gedacht, das Kreuzband sei gerissen. Erst, als die Nachrichten besser wurden, konnte ich mich wieder auf die EM konzentrieren. |
RN: Was haben Sie eigentlich gedacht, als sich BVB-Stürmer Alex Frei im EM-Auftaktspiel der Schweiz verletzte – und Sie zeitgleich beim ZDF vor der Kamera standen? Klopp: Katastrophe. In dem Moment war für mich die EM beendet. Ich wäre am liebsten gegangen. Gott sei Dank war’s „nur“ das Innenband, das Kreuzband ist ausnahmsweise mal nicht mit weggeflogen. Kuba war zu diesem Zeitpunkt schon verletzt abgereist. Fehlte nur noch, dass die Kroaten Mladen Petric und Robert Kovac sich gegenseitig umrennen. |
WAZ: Wie sieht die Ausschreibung für den Mittelfeldspieler aus, den Sie noch suchen? Klopp: Er sollte flexibel sein. Ich habe viele gute Mittelfeldspieler, die aber aus ihrem Potenzial zu wenig gemacht haben. Sie müssen spüren: Wenn ich einen Schritt zu wenig mache, ist sofort ein anderer da. |
RN: Was soll denn der Mittelfeldspieler können, den Sie zurzeit noch suchen – gibt es ein Jobprofil? Klopp: Ich möchte ungern einen haben, der mich systematisch festlegt. Ich will, dass einer kommt, der jedem im Mittelfeld klar macht: Wenn ich einen Schritt zu wenig gehe, ist da einer. Er sollte die „Sechs“ spielen können, wenn es sein muss, aber vor allem die Rauten-Halbpositionen. |
WAZ: Beim Scouting könnten Sie Sportdirektor Michael Zorc helfen, Sie haben ja mal gesagt: Ich kenne jeden Spieler – egal ob aus St. Petersburg oder aus St. Wedel. Klopp: In Mainz galt: ein Mann – fünf Jobs. Ich will aber nicht wirklich behaupten, jeden Spieler von St. Wedel zu kennen. WAZ: Aber von St. Petersburg schon. Klopp: Ja, aber die sind nicht mehr zu haben. Die haben alle eine Tankkarte für viele Jahre. |
RN: Sie haben Sportdirektor Michael Zorc bei der Suche ja indirekt Ihre Hilfe angeboten… Klopp: Wie jetzt? RN: Zu Mainzer Zeiten sagten Sie: „Ich kenne jeden Spieler zwischen St. Petersburg und St. Wedel.“ Das lässt hoffen. Klopp: Mainz 05 – das war ein Mann, vier Jobs. Da haben alle alles gemacht. Ich würde jetzt nicht behaupten, dass ich den rechten Mittelfeldspieler von St. Wedel kenne, aber ich bin schon ganz gut vernetzt. RN: In St. Petersburg gibt’s ein paar Gute … Klopp: Die sind aber alle schon ausgestattet mit einer Tankkarte für acht Millionen Jahre. Da kommen wir nicht mehr dran. |
WAZ: Konnten Sie als Trainer etwas von der EM mitnehmen? Klopp: Ja, einen Haufen DVDs, Spiele aus allen Perspektiven. WAZ: Was zahlen Sie eigentlich dem ZDF an Honorar? Klopp: Wofür? WAZ: Dafür, dass es Sie so populär gemacht hat. Klopp: Die sind so verrückt, die haben mir noch was dafür gegeben. |
RN: Was werden Sie von Ihrer EM-Arbeit mit in die Bundesliga nehmen können? Klopp: Einen Haufen DVD’s mit unzähligen Analysen. RN: Was haben Sie dem ZDF bezahlt? Klopp: Wofür? RN: Für die DVD’s? Klopp: Sie werden lachen, wir haben’s umgekehrt gemacht. Die haben mir sogar noch Geld gegeben. Verrückte Welt. |
Wenn ich Platz für eine dritte Spalte gehabt hätte, wäre auch das Westfälische Rundschau-Interview mit Jürgen Klopp von Wilfried Wittke erwähnt worden, wo man manche der Aussagen auch wieder sehr sinngemäß wiederfindet…
Ich frage mich jetzt, wie es zu diesen „Zufällen“ der ähnlichen Fragestellungen und zum Teil sehr gleichen Antworten gekommen ist (und vor allem wie es dazu kommen konnte, dass bei der WAZ in Mainz ein Mann fünf und bei der RN ein Mann vier Jobs gleichzeitig hatte…).
Meine Vermutung ist, dass es einfach eine lockere Gesprächsrunde mit BVB-Trainer Jürgen Klopp und diversen Journalisten gegeben hat, die allesamt mehr oder weniger eifrig und aufmerksam mitgeschrieben haben.
Was ich jedoch nicht verstehe: Warum suggerieren beide Zeitungen, dass sie quasi ein ganz normales „Solo-Interview“ mit Jürgen Klopp durchgeführt haben? Hätte am Anfang eines der Berichte der Satz
BVB-Trainer Jürgen Klopp stellte sich den Fragen der versammelten Sportjournalisten. Die WAZ/RN/wer_auch_immer dokumentiert nachfolgend die interessantesten Fragen und Antworten.
gestanden, dann wäre das doch auch okay gewesen. So bleibt jetzt ein schaler Beigeschmack, vor allem weil ich nicht davon ausgehe, dass Jürgen Klopp auf die Frage zum Thema X mal so und mal mit einigen deutlichen Unterschieden in der Formulierung geantwortet hat. Sprich: Irgendwer hat die (Fragen und) Antworten deutlich verändert.
Oder ist das wieder mal ein Beispiel vom (eher un)vernünftigen Journalismus, von dem ich nichts verstehe?
Tommer Kummer hat in einem Gastkommentar für die taz vor einiger Zeit sehr anschaulich beschrieben, wie man sich diese Interview-Situationen vorzustellen. Was die Kollegen mit dem Klopp-Interview praktiziert haben, scheint demnach nicht ganz ungewöhnlich zu sein. Gut finden muss man das deswegen natürlich noch lange nicht.
Also klar ist, wer ähnliche Fragen an Kloppo stellt wird auch ähnliche Antworten bekommen – das hat in meinen Augen etwas mit „authentizität“ zu tun. Kann ja nicht angehen das man heute mal so und morgen ganz anders antwortet.
Aber ich denke auch das das in einer „illustren Journalistenrunde“ abgehandelt wurde – und da ja jeder was abliefern muss bei seinem Red. muss er halt auf das zurückgreifen was er hat.
Wirklich eigene Recherche ist heutzutage manchmal zu zeitaufwendig wenn es um solche „kleinen Themen“ geht…
Komisch. Vor allem daß die RN das ganze online als exklusiv bezeichnen.
Gibt es die RN eigentlich noch? Also zumindest die Lokalredaktionen in Bottrop und Gladbeck sind schon lange weg, und AFAIK hat die WAZ den ganzen Laden übernommen. Von daher ist es schon exklusiv, nur in zwei Publikationen eines Hauses veröffentlicht. Oder liege ich da falsch?
@Tobias:
Danke für den informativen Link!
@Jens (der Mainzer…):
Klar, bei ähnlichen Fragen kommen ähnliche Antworten. Wenn man dann aber noch die zeitliche Komponente hinzuzieht, dann sieht’s aber wirklich nach einer „Rudelbefragung“ aus.
Aber sei Dir sicher – der BVB und sein Trainer, das ist bei Zeitungen die in Dortmund erscheinen kein kleines Thema! :)
@Peter:
Das kann ich mir auch nicht so recht erklären.
@Markus:
Ja, die RN gibt es noch und ich wage sehr zu bezweifeln, dass sie aus dem selben Hause wie die WAZ stammt.
Also, das Medienhaus Lensing – bei dem ich angestellt bin – gibt u.a. die Ruhr-Nachrichten heraus. Es konkurriert im östlichen Ruhrgebiet (Dortmund und Umgebung) mit der WAZ-Mediengruppe.
Eine Zusammenarbeit der Häuser gibt es meines Wissesns nur im Bereich von Anzeigenblättern.